Meineid
mir brauchst du kein Herz. Ich bin mit dem Rest zufrieden. Du weißt doch, wie deine Mutter es damals gesehen hat. Ich will nur das eine von dir. Gehen wir ins Bett. Nach all den Monaten habe ich es bitter nötig.»
Sie war in der Nacht nicht viel anders als sonst, nur unersättlicher, als wolle sie die vier Monate nachholen. Am nächsten Morgen brachte ich ihr einen Kaffee ans Bett und erkundigte mich, wie sie sich fühlte. Sie antwortete nicht. Es gab wohl noch keine Worte für ihre Gefühle. Für meine auch nicht. Ich bemühte mich vergebens darum, noch einmal die Erleichterung der ersten Minuten zu empfinden. Jan und Tess! War es wirklich eine gute Kombination? Ich sah uns in Gretas Küche sitzen, hörte Tess fragen:
«Habe ich das richtig verstanden? Sie sind Schriftsteller?»
Dass Tess sich aus Liebe für ihn entschieden hatte, glaubte ich nicht. Ich hatte auch, als es in der Neujahrsnacht um mich ging, nicht eine Sekunde lang an Liebe geglaubt. Ich dachte an kühle Kalkulation, an das, was Greta für sich nie in Anspruch nehmen wollte: versorgt sein. Jan hatte von Rücklagen gesprochen und damit signalisiert, dass er nicht unvermögend war. Darüber hinaus bestand an der Seite eines Schriftstellers die Möglichkeit, ebenfalls in ein bisschen Ruhm zu baden. Nur glaubte ich kaum, dass Jan ihr den Gefallen tat und aus seinem Unvollendeten einen Besteller machte. Es wäre vielleicht fair gewesen, ein offenes Gespräch mit ihm zu suchen. Aber der Gedanke, Jan Tinner vor Tess zu warnen, kam mir nicht. Ich machte mir nur Sorgen um Tess, was nicht heißen soll, dass ich ihr Verhalten guthieß. Das tat ich nicht. Doch ich mochte sie auch nicht so einfach ihrem Schicksal und ihrer Lebensgier überlassen. Für mich war sie immer noch der exotische Falter. Ich wollte sie nicht aufgespießt sehen, sondern geschützt hinter Glas, damit ihr niemand die Flügel brach. Montags versuchte ich, sie anzurufen. Sie war nicht daheim, ich bat um Rückruf. Tess meldete sich erst am späten Nachmittag, ausgerechnet in der halben Stunde, die Greta brauchte, um in meinem Büro einem Vertrag den letzten Schliff zu geben. Sie hörte, wer am Telefon war, verfolgte mit zusammengekniffenen Augen das kurze Gespräch und erkundigte sich anschließend:
«Was hast du vor?»
«Nichts», sagte ich.
«Und für nichts musst du Tess unbedingt sprechen?»
Greta lachte kurz.
«Bildest du dir ein, du kannst sie noch umstimmen? Tu dir einen Gefallen und lass es, Niklas. Sie wird dich auslachen.»
Tess lachte tatsächlich, als ich sie am nächsten Abend traf. Sie hörte mir anfangs ungläubig, später amüsiert zu. Dass ein Mann sich seit vierzehn Monaten damit beschäftigte, den Anfang für seinen Roman zu finden, dass er hundertzwanzig Fassungen der ersten Szene ent- und wieder verwarf, ausgesprochen klang es, als versuche ich, mit Gewalt etwas zu konstruieren. Das hörte ich selbst. Und dass ich sein Grinsen nicht mochte, dass ich dahinter die Überlegenheit eines Mannes vermutete, der sich durchschaut fühlte und genau wusste, man konnte ihm nichts beweisen … Als ich endlich wieder schwieg, meinte Tess spöttisch:
«Was denn, habe ich jetzt den schwarzen Mann aus dem Loseimer gezogen? Und ich dachte schon, es wäre eine Niete. Er ist ziemlich schwer von Begriff. Sollte man gar nicht glauben, dass ein Schriftsteller so phantasielos sein kann. Damit begründen sich vermutlich seine Schwierigkeiten mit dieser Szene.»
«Witzig finde ich das nicht», sagte ich. Und Tess lachte noch einmal.
«Aus deiner Sicht ist es auch nicht spaßig. Da taucht jemand aus dem Nichts auf und schafft binnen weniger Wochen, was dir in zehn Jahren nicht gelungen ist. Dabei hast du entschieden mehr zu bieten.»
Vielleicht hätte ich ihr sagen müssen, dass sie sich irrte, dass ich sie seit langem nicht mehr wollte. Vielleicht hätte ich ihr sogar sagen müssen, dass sie dabei war, zum zweiten Mal Gretas Zukunftspläne zu durchkreuzen und diesmal mit einem Mann, den Greta mehr liebte, als ich begreifen konnte. Aber eher hätte ich mir auf die Zunge gebissen, als das auszusprechen. Als ich nicht antwortete, meinte Tess:
«Du hattest deine Chance, Niklas, und hast sie nicht genutzt. Jetzt bekommt Jan eine, und er scheint mir die bessere Wahl. Wir beide hätten uns vermutlich rasch angeödet, weil wir uns zu lange und zu gut kennen. Mit ihm dagegen könnte es interessant werden. Ein Mann, der nicht über sich selbst spricht, ist für manche Überraschung gut. Das
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