Meinen Sohn bekommt ihr nie
Ãbriges. Nachdem er meine Wohnung eingeräuchert hat, ist sie vierundzwanzig Stunden nicht mehr bewohnbar, und ich muss ins Hotel. Bei meiner Rückkehr ist der Boden mit toten Küchenschaben übersät, die ihre Beinchen in die Luft strecken â ein nicht sehr erbaulicher Anblick. Willkommen in Israel!
Die unvermeidlichen Schikanen der Behörden gehen indes weiter. Sobald ich mit einer öffentlichen Dienststelle oder der Stadtverwaltung zu tun habe, kommt es zu Reibereien mit den nach meinem Geschmack etwas übereifrigen Beamten. Ich habe dazugelernt und weià mich zu wehren. Meine Verwandten amüsieren sich köstlich, ich bin auf dem besten Weg, eine echte Israelin zu werden. Trotz allem lasse ich mich bei der Schweizer Botschaft, die nur einen Katzensprung von mir entfernt liegt, registrieren, wie es das Departement für auswärtige Angelegenheiten allen im Ausland lebenden Schweizern empfiehlt. Ich bin vorsichtig. Man weià nie.
GroÃer Spaà und bitterer Ernst
Im Mai 2000 zieht Israel seine Truppen aus dem Südlibanon zurück. Ministerpräsident Ehud Barak bekräftigt mit diesem Schritt erneut seinen Wunsch nach Frieden und stellt eine Einigung mit Syrien in Aussicht.
Anfang des Sommers, zur schönsten Jahreszeit, kommen nacheinander meine Eltern, meine Schwester und Karine, meine Sandkastenfreundin, zu Besuch. Auch meine Cousine aus Belgien, mit der ich in Eilat war, wo alles seinen Anfang nahm, verbringt einige Tage bei mir. Meine Eltern sind beruhigt, als sie sehen, wie wohl ich mich in der neuen Umgebung fühle.
Da mir noch Ferientage zustehen, begleite ich meine Schwester und meine zwei Nichten auf ihren Ausflügen durchs Land und entdecke mir bislang unbekannte Orte, Städte und Dörfer. Ich erfahre mehr über die Topografie und über Fauna und Flora dieses winzigen Landes, das auf einer Fläche von weniger als zwanzigtausend Quadratkilometern Meer, Gebirge, Ebenen und Wüsten vereint. Wir fahren ans Tote Meer und zur Festung von Masada, zum See Genezareth und in den Norden, wo meine GroÃcousine Daniela, die Schwester von Ayala, mit ihrer Familie bei Akkon, in der Nähe von Haifa, in einem Kibbuz lebt. Als meine Besucher wieder weg sind, fühle ich mich etwas allein.
An einem Morgen im Juli habe ich einen Zahnarzttermin. Die Sprechstundenhilfe am Empfang ist mir sofort sympathisch. Sie hat Humor, sprüht vor Energie und hat zudem wunderschönes Haar. Virginie, oder Vivi, schlieÃt gerade ihr Studium an der Universität von Tel Aviv ab und arbeitet in der Praxis, um über die Runden zu kommen. Sie wurde in Frankreich geboren und wuchs in Israel auf â wir sind sofort auf einer Wellenlänge. Als ich ihr erzähle, dass ich neu im Land bin und allein in Tel Aviv lebe, nimmt sie mich sofort unter ihre Fittiche, und wir verabreden uns für den nächsten Abend in einem ihrer Lieblingsrestaurants. Vivi kennt die Stadt wie ihre Westentasche. Sie nimmt mich überallhin mit und stellt mich ihren französisch sprechenden Freunden Karinette, Myriam, genannt Mimi, David und Daniel vor. Sie werden bald auch zu meinen Freunden.
Nicht umsonst nennt man Tel Aviv die Stadt, die nie zur Ruhe kommt. Die Ausgehmöglichkeiten und das kulturelle Angebot sind nahezu grenzenlos. In Tourismusbroschüren wird Jerusalem oft als die politische Hauptstadt, Haifa als die führende Industrieregion und Tel Aviv als das kulturelle Zentrum des Landes beschrieben. Obwohl das natürlich stark vereinfacht ist, kommt es der Realität doch recht nahe. Ãberall in Tel Aviv wird gefeiert, am Strand, in den schicken StraÃencafés, in Clubs und Szenebars, in Open-Air-Discos am Hafen und den schönen Hinterhöfen der Restaurants von Neve Tzedek, dem hippen Künstlerviertel im Süden bei Jaffa. Besonders liebe ich es, die Sonnenuntergänge von der Strandpromenade aus zu betrachten. Mit ihren Cocktailbars verwandelt sich diese im Sommer zu einer kilometerlangen Lounge und zum Tummelplatz für Spaziergänger, Fahrradfahrer, Schachspieler, allerlei Akrobaten und, dank der neuen Einwanderer aus Kuba, auch der Salsatänzer.
Wir vier Frauen werden schnell unzertrennlich. Nach der Arbeit treffen wir uns in den Cafés der herausgeputzten Avenue Rothschild und schnattern bis tief in die Nacht. Am Wochenende gehen wir baden. Strände gibt es in Tel Aviv für jede Vorliebe und jedes Publikum: den Strand der Wassersportler
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