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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabelle Neulinger
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Zweitschlüssel für meine Wohnung besitzt. Der Nachbar heißt Shai, was auf Hebräisch «Geschenk» bedeutet.
    Das «Geschenk» sieht nicht schlecht aus. Ich kenne ihn vom Sehen, er bewohnt mit seinem Bruder das Apartment im Erdgeschoss, das zum Garten hinausgeht, und ist immer auf Inlineskates unterwegs. Wir haben noch nie miteinander gesprochen und uns allenfalls im Vorbeigehen gegrüßt. Abends beim Essen hört meine Mutter nicht auf, von dem netten Nachbarn zu schwärmen. Er habe an einer Eliteuniversität Sport studiert, sei Lehrer in einer Tel Aviver Schule und arbeite nebenbei als Model für Werbekampagnen. In seiner freien Zeit sei er Schauspieler und habe eine Nebenrolle in der israelischen Kultserie Inyan Shel Zman (Eine Frage der Zeit). Am nächsten Tag, nachdem ich meine Eltern zum Flughafen gebracht habe, klopfe ich an Shais Tür, um mich mit einer Flasche Wein bei ihm zu bedanken. Diese ausgesprochen europäische Geste versteht er, der Sabra, nicht. Auf Englisch bedanke ich mich und reiche ihm den Wein.
    Â«Ich trinke nicht», sagt er und weist die Flasche bestimmt zurück.
    Ein hübscher Kerl, aber ohne Manieren.
    Ich bleibe hartnäckig: «Schon gut, ich wollte mich nur dafür bedanken, dass du dich um meine Eltern gekümmert hast. Nimm ruhig, du kannst die Flasche auch weiterverschenken.»
    Mehr passiert nicht. Wir verabschieden uns, für mich ist die Sache erledigt. In den darauffolgenden Monaten höre ich nichts mehr von ihm, und im Treppenhaus laufe ich nur seinem Bruder über den Weg.

    Im Februar 2001 wird Ariel Scharon zum neuen Ministerpräsidenten gewählt und folgt damit auf den zurückgetretenen Ehud Barak. Er bildet eine Regierung der nationalen Einheit, indem er insbesondere die Ultraorthodoxen und die Arbeitspartei einbindet. Die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern verschärfen sich, die Selbstmordattentate reißen nicht ab. Das oberste Ziel der neuen Regierung besteht darin, die Sicherheit im Land wiederherzustellen.
    Zum Glück gefällt mir meine neue Arbeit. Ich übernehme einige interessante Projekte, die mich ganz beanspruchen. So denke ich an anderes und vergesse die angespannte Lage um mich herum. Im April 2001 lädt mich meine Firma zu einem kulturellen Event ein, bei dem, wie in der Nacht der Molières in Frankreich, die besten Theaterschaffenden ausgezeichnet werden. Just einige Tage vor der Preisverleihung begegne ich vor unserem Wohnhaus Shai auf seinen Inlineskates. Da ich weiß, dass mein Nachbar viel für die Schauspielkunst übrig hat, frage ich ihn, ob er mitkommen möchte. Er nimmt die Einladung an, und so kommt es, dass ich von ihm und meiner Großcousine Ayala zur Preisverleihung begleitet werde. Ayala ist von ihm genauso angetan wie ich: Shai ist charmant, zuvorkommend, lustig und überhaupt nicht so ungehobelt, wie er mir einige Monate zuvor erschien.
    Wir sehen uns öfter. Shai stellt sich als großer Romantiker heraus und ist viel aufmerksamer als die Israelis, die ich bislang kennengelernt habe. Und er hat Idealismus. Ich mache ihn mit meinen Freunden bekannt, er stellt mich seinen vor. Er ist verliebt, ich bin verliebt – so fügt sich eins ins andere.

Eine unerwartete Hochzeit
    Das Leben in Israel folgt dem Rhythmus der jüdischen Feste, die zugleich staatliche Feiertage sind. Der hebräische Kalender richtet sich sowohl nach dem Mondzyklus als auch nach den Jahreszeiten. Er ist der offizielle Kalender in Israel, während der gregorianische Kalender für alle weltlichen Belange verwendet wird.
    Jedes Fest hat seinen eigenen Reiz und ist voller Symbole und Bedeutungen, Lag ba-Omer bildet da keine Ausnahme. Er wird am dreiunddreißigsten Tag der Omer-Zählung gefeiert. Omer, die Zeitspanne zwischen dem Auszug aus Ägypten und dem Empfang der Thora, war ursprünglich eine Zeit großer Freude. Im Talmud heißt es jedoch, dass im besagten Zeitraum 24000 Schüler an einer rätselhaften Wunde starben, weil sie einander nicht genügend Achtung entgegenbrachten. Lag ba-Omer wird als der Tag gefeiert, an dem die tödliche Plage ein Ende fand. An diesem Datum jährt sich auch der Todestag von Rabbi Schimon ben Jochai, der als einer der Ersten die Thora nach mystischen Gesichtspunkten auslegte und lehrte. Er gilt als Autor des Zohar, des wichtigsten Buchs der Kabbala. An Lag ba-Omer wird häufig geheiratet, und

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