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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabelle Neulinger
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Shai ist nicht dabei, er hilft für zwei Wochen als Sportanimateur in einer Ferienanlage aus. Ich bin noch ganz im Glück, als man mir wie aus heiterem Himmel und ohne Umschweife mitteilt, dass der Embryo nicht mehr lebe und eine Ausschabung gemacht werden müsse. Der Arzt weist mich sofort ins Krankenhaus ein.
    Nach dem Eingriff falle ich in ein Loch. Ich fühle mich sehr allein. Shai, der überstürzt angereist ist, fährt gleich wieder in die Ferienanlage zurück, nachdem ich nach Hause entlassen worden bin. Doch es dauert nicht lange, bis sich mein alter Optimismus wieder einstellt. Ich tröste mich, indem ich mir sage, dass das Baby selbst diesen Weg gewählt hat.

Rückkehr nach Tel Aviv
    Zwei Monate später bin ich wieder schwanger. Dieses Mal bin ich nicht so unbesorgt und habe Angst, dasselbe noch einmal durchmachen zu müssen. Daher suche ich einen privaten Frauenarzt auf, anstatt mich wieder dem öffentlichen Gesundheitssystem anzuvertrauen. Es ist Herbst, die Geburt wird voraussichtlich im Juni sein.
    Genau in diesem Moment teilt mir mein Schwiegervater mit, dass seine Eltern nach reichlicher Überlegung entschieden hätten, mir die Wohnung doch nicht zu verkaufen, uns aber anböten, weiter im Mietverhältnis dort zu bleiben. Meine Vorahnung hat sich also bestätigt. Im Klartext heißt das, dass ich fast meine ganzen Ersparnisse in die Renovierung eines Apartments gesteckt habe, das mir nie gehören wird. Was aber noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass mich die Familie meines Mannes übers Ohr gehauen hat, Menschen, denen ich vertraut habe. Ich bin fassungslos.
    Dieses ausgemachte Gaunerstück – anders kann ich es nicht bezeichnen – bringt mich so in Rage, dass ich mich kurzerhand entschließe, Ramat Gan zu verlassen und wieder nach Tel Aviv zu ziehen. Ich miete die erstbeste Wohnung, drei schäbige Zimmer im Erdgeschoss eines alten Hauses, und schon einen Monat später ziehen wir um. Offene Rechnungen wird es nun nicht mehr geben. Sollen sie doch ihre Wohnung behalten, ein Schlüssel zum Paradies wird sie ihnen jedenfalls nicht sein.
    Shai hält sich kleinlaut zurück, er möchte nicht in die Schusslinie zwischen mir und seinem Vater geraten.

    Ich bin froh, wieder in Tel Aviv zu sein. Die Energie der Stadt belebt mich, ich sauge alle Geräusche, Gerüche und Farben in mich auf. Shai ist sehr zuvorkommend und kümmert sich rührend um mich. Doch wenn ich Appetit auf Meeresfrüchte oder Schinken bekomme, bleibt er stur, diese Lebensmittel sind nicht koscher…
    Manchmal gehe ich abends mit meinen Freunden aus. Da Shai kein Französisch spricht und es auch nicht gern hört, wie er mir bereits zu verstehen gab, schließt er sich uns nicht an, er möchte unsere «französische Runde» nicht stören. Viel lieber hört er sich in dieser Zeit religiöse Lesungen an. Ich weiß, dass er Kontakt zu sehr strenggläubigen Juden hat.
    Gelegentlich sind wir am Sabbat auch bei Lea und Elieser, einem jungen Paar mit vier Kindern aus der Nachbarschaft, zum Essen eingeladen. Sie gehören zu den ultraorthodoxen Charedim. Er kommt aus Straßburg und spricht Französisch, sie wurde in Israel geboren. Die beiden sind sehr sympathisch und aufmerksame Gastgeber, aber ich muss doch oft bei mir denken, dass sie in einer vollkommen anderen Welt leben, so ganz ohne Fernseher, ohne Computer und, abgesehen von den Gebetsbüchern, auch ohne Literatur. Sie wissen nicht einmal, was hinter der Landesgrenze vor sich geht. Aus Rücksicht auf ihre religiösen Gefühle bedecke ich meine Haare mit einem Hut, wenn wir bei ihnen sind. Sobald wir ihr Haus verlassen, nehme ich ihn wieder ab.
    Es kommt auch vor, dass wir am Wochenende wegfahren und den Sabbat mit anderen Familien in der Gruppe verbringen. Diese Wochenenden werden von Rabbis organisiert und an verschiedenen Orten in ganz Israel durchgeführt. Sie sind eine Art Kurzfreizeit für Gläubige, mit Lesungen, Gebeten und Thorastunden für die Männer. Auch da passe ich mich dem Tzniut, den jüdischen Kleidungsvorschriften, an, indem ich Arme, Beine und mein Haar verhülle. Unter einem gelungenen Wochenende stelle ich mir zwar etwas anderes vor, aber Shai ist in seinem Element, und ich beiße die Zähne zusammen. Immerhin kann ich mich in dieser Zeit ausruhen und die Zubereitung der Mahlzeiten anderen überlassen, was mir in der Schwangerschaft

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