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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabelle Neulinger
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durchaus entgegenkommt.
    Vor allem aber glaube ich fest daran, dass Shai, nachdem er alles kennengelernt und seinen Wissensdurst gestillt haben wird, sich wieder anderen Dingen zuwenden wird, dass wir unsere gemeinsamen Aktivitäten wiederaufnehmen werden und das Leben wieder so sein wird wie zuvor.

    Bislang hat Shai immer an derselben Tel Aviver Schule gearbeitet. Auf einmal entschließt er sich, die Schule zu wechseln, er möchte in einer reinen Jungenschule unterrichten. Ich wundere mich nicht weiter. Es ist seine Entscheidung, und ich unterstütze ihn bei seinen Karriereplänen. Selbstverständlich ahne ich auch diesmal nicht, dass er sich bei dem Schulwechsel von religiösen Motiven leiten lässt.
    Die Schwangerschaft verläuft unterdessen ohne Zwischenfälle. Ich erwarte einen Jungen. Als mein Frauenarzt beim Ultraschall jedoch feststellt, dass das Kind nur eine Niere hat, befürchte ich das Schlimmste. Der Arzt beschwichtigt. Alles sei ansonsten normal, es bestehe kein Grund zur Panik, an eine Abtreibung sei nicht zu denken. Er erklärt mir, dass vor der Einführung der Ultraschalldiagnostik viele Menschen wunderbar mit einer Niere zurechtgekommen seien, ohne es überhaupt zu wissen. Und doch bin ich beunruhigt.
    Als ich im siebten Monat schwanger bin, erfolgt der Einmarsch in den Irak. Israel ist in höchster Alarmbereitschaft. Wir werden dazu angehalten, nicht ohne unsere Gasmasken aus dem Haus zu gehen und uns im Alarmfall schnellstens zum nächsten Schutzraum zu begeben. Neuere Gebäude sind meist mit solchen Räumen ausgestattet, entweder im Keller oder in den Wohnungen selbst, und auch Schulen, Einkaufszentren und andere öffentliche Gebäude verfügen über Gemeinschaftsschutzräume. Die Militärverantwortlichen weisen die Bevölkerung an, Lebensmittelvorräte und Wasser sowie andere wichtige Dinge wie Batterien, Radioapparate, Taschenlampen und Erste-Hilfe-Koffer in diesen Räumen zu lagern. Man stellt sich auf eine Wiederholung des Golfkriegs ein und befürchtet Scud-Raketenangriffe auf Tel Aviv.
    Ich erwäge, in die Schweiz zu gehen und dort unser Kind zu gebären. Doch der Mann im Reisebüro macht keine Ausnahme. Es sei zu spät, meine Schwangerschaft zu weit fortgeschritten, aus Versicherungsgründen würde mich keine Fluggesellschaft an Bord nehmen.
    Meine Vorgesetzte rät mir, bis auf Weiteres zu meinen Verwandten nach Jerusalem zu gehen: «Dort bist zu in Sicherheit. Niemand wird jemals Jerusalem bombardieren.»
    In Jerusalem empfangen mich David und Ayala mit offenen Armen. Da Shai meine Gasmaske in Tel Aviv vergessen hat, muss er den ganzen Weg noch einmal machen. Das ärgert mich, die zwei versuchen zu beschwichtigen. Doch Shai kommt das sehr gelegen, so muss er nicht mit uns das essen, was meine Cousine zubereitet hat: ein nichtkoscheres Abendessen. Er schlägt die Einladung aus und fährt augenblicklich nach Tel Aviv zurück.
    Ein weiteres Anzeichen seines Wandels, das mich hätte stutzig machen sollen. Aber angesichts der drohenden Raketenangriffe und mit meinem großen Bauch habe ich andere Sorgen.

Noam, mein Sohn
    Nachdem der Ausnahmezustand aufgehoben wird und ich wieder nach Tel Aviv zurückkehren kann, bereiten wir uns auf die Geburt vor. Wir sprechen über die Zukunft, selbstverständlich auch über unsere finanzielle Lage. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass von unseren beiden Gehältern meines das attraktivere ist. Was wir für die Kinderbetreuung ausgeben würden, ist deutlich mehr als das, was Shai als Sportlehrer verdient. Nichts ist daher näherliegend als sein Vorschlag, daheim zu bleiben und sich um das Kind und den Haushalt zu kümmern. «Ich habe in der Schule jahrelang Kinder betreut, warum also nicht auch mein eigenes?», meint er.
    Dankbar nehme ich sein Angebot an, das gelten wird, sobald mein gesetzlicher Mutterschaftsurlaub zu Ende geht. Auch habe ich nicht die geringste Lust, meine Stelle aufzugeben, und ich vertraue meinem Ehemann voll und ganz, was die Zukunft unseres Sohnes anbelangt.
    An einem Sonntagmorgen im Juni fahre ich wie üblich zur Arbeit und mache auf dem Weg bei der Bank Halt. Am Schalter merke ich, dass es losgeht. Ich rufe ein Taxi und lasse mich auf schnellstem Weg ins Krankenhaus bringen. Unterwegs gebe ich Shai und auch seiner Mutter Maya und Ronit, der Lebensgefährtin seines Vaters, Bescheid.
    Die Wehen werden stärker, doch

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