Meinen Sohn bekommt ihr nie
zurück.
«Nein, Noam wird in Israel bleiben», ist sein letztes Wort.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als geduldig zu warten, bis Shai doch noch zu dem Schluss kommt, dass so ein Türöffner nützlich sein könnte, und unterschreibt.
Als Noam drei Monate alt ist, fliegen wir nach Europa. Wir wollen meine Eltern und Freunde besuchen. Der Aufenthalt bei meinen Eltern wird zum Fiasko. In Israel, in meinem gewohnten Umfeld, war mein Blick auf die Realität verstellt, hier in Europa springt sie mich förmlich an. Langsam begreife ich, dass die Dinge nie mehr so sein werden wie zuvor.
Shai hat sich verändert. Der humorvolle, aufgeschlossene, weltoffene Sportlehrer, der mich verführte, lebt nur noch durch und für die Halacha, das jüdische Religionsgesetz.
Meine Eltern wollen uns den Besuch so angenehm wie möglich gestalten. So ist meine Mutter kilometerweit gefahren, um einen koscheren Supermarkt zu finden, und hat den Kühlschrank für Shai mit koscheren Vorräten gefüllt. Auch hat sie Pappteller besorgt, da ihr Geschirr nicht koscher ist.
Shai isst ohne Appetit, und sobald er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hat, steckt er seine Nase in eines seiner vielen religiösen Bücher, die er mit hierhergeschleppt hat. Als Freunde vorbeikommen, um uns zum Kind zu beglückwünschen, grüÃt er nur kurz und verzieht sich sogleich wieder aufs Zimmer, als ob er nicht da wäre. Meine Mutter hält sich zurück, aber meinem Vater sehe ich an, dass er innerlich kocht, umso mehr, als Shai uns regelmäÃig alleine lässt und zu Fuà zum Gebet in die Synagoge am anderen Ende von Annecy geht.
Als Shai am Sabbat das Birnchen im Kühlschrank herausschraubt, damit beim Ãffnen der Tür kein Licht nach auÃen fällt, bringt er das Fass zum Ãberlaufen. Meine Mutter fleht meinen Vater an, unserer Beziehung zuliebe keinen Skandal daraus zu machen. Doch dieser ist nicht mehr zu halten. Er dulde nicht, dass Shai alle mit seinen neuen Sabbatregeln verrückt mache. Ich schweige, versuche, die Wogen zu glätten, mich möglichst herauszuhalten. In mir brodelt es jedoch gewaltig, und ich frage mich immer wieder, wie Shai zu diesem Fanatiker werden konnte.
Eine Einladung bei Freunden, denen ich Shai vor unserer Hochzeit vorgestellt habe, verstärkt meine Ratlosigkeit. Zunächst isst er nicht mit, dann lenkt er die Unterhaltung auf die Thora und lässt sich auch durch meine Versuche, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, partout nicht vom Thema abbringen. Meine Freunde sagen nichts dazu, aber ich merke, dass sie sich Gedanken machen. Zurück bei meinen Eltern, stürzt sich Shai auf eine Konservendose mit dem Aufdruck «koscher», ein Schauspiel, das sich noch öfter wiederholen wird.
In diesem angespannten Klima geht unser Urlaub zu Ende. Meine Mutter möchte mich unter diesen Umständen am liebsten nicht nach Israel zurückkehren lassen.
Am Tag der Abreise bietet ein Freund der Familie an, uns mit dem vielen Gepäck in seinem Kleinbus von Annecy zum Genfer Flughafen zu fahren. Jacques hat Probleme mit dem Rücken, und mein Vater soll in seinem Alter die schweren Koffer nicht mehr tragen. Also rufe ich Shai zu Hilfe. Er antwortet nicht.
In der Zwischenzeit hat Jacques begonnen, die Gepäckstücke in den Bus zu hieven. Er möchte nicht, dass wir zu spät kommen. Mein Vater hilft ihm dabei.
Als ich nach oben gehe, finde ich Shai ins Gebet vertieft. Diesmal platzt mir der Kragen, und ich fahre ihn an: «Schämst du dich nicht? Du lässt meinen Vater und Jacques mit seinem kaputten Rücken unsere Koffer schleppen! Wie respektlos von dir!»
Jetzt bin ich in Fahrt, und ich serviere ihm die geballte Ladung seiner vielen Fehltritte, die diesen Aufenthalt so unerträglich machten: «Rühr dich nicht vom Fleck, sieh mich nicht einmal an, bete nur ruhig weiter. Du bist hier aber im Haus meiner Eltern, da gehört sich das nicht. Hättest du nur einen Funken Anstand, würdest du dich ihrem Lebensstil anpassen, und nicht umgekehrt. Sie haben sich weià Gott alle Mühe gegeben, um es dir recht zu machen, beim Essen, mit dem Sabbat. Und du hast kein Dankeswort für sie übrig und bist beim Abschied nicht mal in der Lage, selbst deinen Koffer zu tragen.»
Ich bin so wütend, dass ich während des gesamten Rückflugs kein Wort mit ihm wechsle.
Vielleicht hat er kapiert, dass er zu weit
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