Meinen Sohn bekommt ihr nie
das Kind lässt sich Zeit. Die Ãrzte lehnen eine Periduralanästhesie ab, weil sich dann der Muttermund nicht weiter öffnen würde. Man schlieÃt mich an einen Monitor an und legt mich zur Beobachtung auf ein Zimmer. Ich habe starke Schmerzen, doch Shai kommt nicht. Als ich nochmals anrufe, sagt er, dass er sich unwohl fühle, dabei war er vor dreiÃig Minuten noch putzmunter.
Am Ende wird die Geburt fast drei volle Tage dauern, quälend lange Stunden, in denen Ronit und Maya abwechselnd bei mir sitzen. Nach vierundzwanzig Stunden verliere ich das Gefühl für die Zeit, aber mir wird klar, dass Shai nicht mehr auftauchen wird. Er will kein Blut sehen und auch nicht seine unreine Frau auf dem Gebärstuhl. Ich werde das Kind alleine zur Welt bringen.
Shais Abwesenheit verbanne ich in den hintersten Winkel meines Bewusstseins. Jetzt ist nicht die Zeit dafür, ich brauche meine ganze Kraft, um mich auf das Atmen zu konzentrieren und den heftigen Schmerz der in immer kürzeren Abständen folgenden Wehen zu ertragen. Glücklicherweise scheint der ganze Trubel dem Kind nichts anzuhaben, wacker erkämpft es sich auf seinen Weg in die Welt.
Am Morgen des dritten Tages, als der Arzt schon einen Kaiserschnitt in Erwägung zieht, öffnet sich endlich der Muttermund, weit genug, damit eine PDA gelegt werden kann. Als der Schmerz nachlässt, entspanne ich mich, und plötzlich geht alles sehr schnell. Nach den langen Strapazen erwarte ich, ein kleines zerknautschtes, rotes Knäuel in Empfang zu nehmen, und bin dann ganz erstaunt, als ein fertiges Kerlchen mit sanften, glatten Gesichtszügen zum Vorschein kommt, das mir bedeutungsvoll in die Augen schaut, wie um mir zu sagen: «Siehst du, es geht doch.»
Als ich das Kind in den Armen halte, bin ich verrückt vor Freude, erschöpft â und allein. Shai wird sich erst am darauffolgenden Tag blicken lassen. Und damit ist noch lange nicht alles gut, denn bis die Nachblutungen aufhören, bin ich unrein. Erst dann werde ich ins Ritualbad gehen und wieder Berührungen mit meinem Mann austauschen können. Nach dieser langen und schweren Geburt sehne ich mich nach einer Schulter zum Anlehnen, nach Zärtlichkeit. Doch als Shai ins Krankenhaus kommt, merke ich schnell, dass ich dies von ihm nicht erwarten kann. Mein Mann vermeidet es tunlichst, mich anzufassen. Er legt nicht seinen Arm um mich, er fährt mir nicht durchs Haar, selbst einen Kuss bleibt er mir schuldig.
Wie viele Frauen müssen sich in gleicher Weise im Stich gelassen und zurückgewiesen fühlen, nachdem sie ihre Kinder zur Welt gebracht haben?
Zu alldem werde ich an einem Freitag, genau vor Sabbat, nach Hause entlassen. Abends nach dem Essen kommt die junge Tochter von Bekannten vorbei, sie soll mir Gesellschaft leisten, während Shai bei Freunden Schalom Sachar feiert. Mit diesem Fest wird traditionell ein neugeborener Junge begrüÃt. Ich bin nicht eingeladen.
Den gewünschten Beistand erhalte ich einige Tage später, als meine Eltern aus Frankreich anreisen. Sie freuen sich und sind gespannt auf ihren Enkel. Meine Mutter lässt es sich nicht nehmen, mich nach Strich und Faden zu verwöhnen und das Baby und mich zärtlich zu liebkosen. Dass Shai und ich uns nicht berühren, bemerkt sie nicht. Ich sage ihr nichts.
Wie mein Frauenarzt bereits festgestellt hat, kommt das Kind mit nur einer Niere zur Welt. Zum Glück ergeben die ersten Untersuchungen, dass die Niere voll funktionsfähig ist, und die Ãrzte erteilen grünes Licht für die Brit Mila, die rituelle Beschneidung.
Am achten Tag nach der Geburt wird also die Beschneidungszeremonie durchgeführt, bei der der Junge auch offiziell einen hebräischen Namen bekommt. Wir nennen ihn Noam, was «angenehm, gefällig, wohlklingend» bedeutet. Und genau das ist er.
«Baal Teschuwa» â Meister der Rückkehr
Meine Eltern kehren wieder nach Frankreich zurück. Kurz darauf teile ich Shai mit, dass ich für Noam auf dem Schweizer Konsulat einen Pass beantragen möchte. Dafür benötige ich seine Erlaubnis.
«Warum braucht Noam einen Schweizer Pass? Er wird in Israel aufwachsen und Hebräisch sprechen», entgegnet er bestimmt.
«Warum? Weil die halbe Welt für einen Schweizer Pass töten würde, deshalb. Und wer sagt dir, dass Noam später nicht einmal in der Schweiz oder in Europa studieren möchte?», frage ich
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