Meinen Sohn bekommt ihr nie
gesäuerten Lebensmittel werden akribisch aus dem Haus verbannt, das Geschirr muss abgekocht werden, und erlaubt sind nur bestimmte koschere Lebensmittel.
Als ich eines Abends von der Arbeit nach Hause komme, ist die ganze Küche leergeräumt, alle Essensvorräte sind verschwunden. In aller Seelenruhe teilt mir Shai mit, dass er für Pessach alles entsorgt habe. Ich bin auÃer mir. Wie geht es an, dass er Nahrungsmittel einfach wegwirft und es nicht einmal für nötig hält, sich mit mir abzusprechen?
Shai fängt an zu toben. «Und wann, sag mir, wann wirst du dich endlich wie eine richtige jüdische Ehefrau verhalten? Warum nur habe ich ausgerechnet dich zur Frau gewählt? Du bist zu nichts zu gebrauchen, nicht mal das Haus kannst du für Pessach ordentlich herrichten.»
Kurz nach diesem heftigen Wortwechsel begegne ich zufällig Nathalie, einer belgischen Freundin, die einen Israeli geheiratet hat und die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Kurzerhand lädt sie uns am Sabbat zu ihrer Familie ein, sie wollen grillen. Ein Feuer anzuzünden, ist am Sabbat strengstens untersagt, und da sie auÃerhalb von Tel Aviv leben, müsste ich das Auto nehmen. Offensichtlich ist ihre Familie nicht religiös.
Voller Vorfreude teile ich Shai am Abend meine Pläne mit.
Seine Antwort ist unmissverständlich. «Du wirst am Sabbat nirgendwohin gehen. AuÃer zur Synagoge oder mit mir zu Rabbi Asaria.»
Ich gebe nicht nach. «Und wenn ich trotzdem fahre?»
«Ich rate dir, es nicht zu tun. Wenn ich dich einschlieÃen muss, dann werde ich das tun. Zwing mich nicht dazu.»
Ungläubig starre ich ihn an. Er droht mir! Wie konnte es so weit kommen? Doch Shai hat die Nase wieder in sein Buch gesteckt und würdigt mich keines Blickes mehr.
Aus Stolz schaffe ich es nicht, mich meinem Umfeld anzuvertrauen. Ich klammere mich an das, was mir von unserer Beziehung noch bleibt. Gegenüber meinen Freunden und den Arbeitskollegen möchte ich weiter das Bild von der erfüllten Mutter und Ehefrau aufrechterhalten. In Wirklichkeit schäme ich mich, dass mir die Situation immer mehr entgleitet, dass ich den Boden unter den FüÃen verliere, dass ich nichts mehr im Griff habe.
In meiner Verzweiflung sehe ich nur noch einen Ausweg: Ich bitte Rabbi Asaria um ein Gespräch unter vier Augen. Er gewährt es mir.
«Seit Shai Sie kennt, haben wir kein Familienleben mehr», beginne ich. «Das kann ich nicht hinnehmen. Ich bin bereit, Kompromisse einzugehen. Ich besuche Ihre Kurse, ich gebe mir Mühe, eine gute jüdische Ehefrau zu sein, und vieles mehr. Doch gleichzeitig wünsche ich mir, dass die Dinge wieder wie früher sind, dass Shai arbeiten geht und seine Pflichten als Vater und Ehemann erfüllt. Ich wünsche mir, dass er weniger fordernd ist, was die Religion angeht.»
Der Rabbi hört geduldig zu. Als ich fertig bin, schaut er mich mit seinem durchdringenden Blick an und lächelt kühl. «Meine Liebe, ich gebe Ihnen einen guten Rat. SchlieÃen Sie sich uns an. Sie werden es sonst noch bereuen.»
Es läuft mir kalt den Rücken hinunter. Die Drohung ist nicht einmal verschleiert. «Ist das Ihr letztes Wort?»
«Es ist mein letztes Wort», antwortet er.
Ich verabschiede mich höflich und wende mich zum Gehen. Nun weià ich, woran ich bin. Wer sonst auÃer dem Rabbi hätte meinen Mann zur Vernunft bringen können? Doch er hat mich auflaufen lassen, und ich muss erkennen: Shai ist einer der «schwarzen Männer» geworden, über die ich an Silvester 2000 noch Scherze gemacht habe.
Zeit zu handeln
An einem Morgen im Frühling ist der Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt. Shai hat, wie üblich seit Noams Geburt, das Haus früh verlassen, um beten zu gehen. Ich gebe dem Kleinen zu essen, ziehe ihn an und warte mit ungeduldigem Blick auf die Uhr, dass Shai zurückkommt. Wieder einmal werde ich zu spät bei der Arbeit sein.
Es ist schon heiÃ. Ich trage an diesem Tag einen langen, klassisch geschnittenen, beigefarbenen Rock, der meine FuÃknöchel bedeckt, offene Sandalen und einen engen Rollkragenpullover ohne Ãrmel. Als ich Shai die Tür öffne, mustert er mich von Kopf bis FuÃ. Seinen Blick werde ich nie vergessen. Ich kann darin Verachtung, auch Hass, beinahe Abscheu erkennen.
Was er mir dann an den Kopf wirft, trifft mich wie ein Faustschlag: «Du glaubst doch
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