Meinen Sohn bekommt ihr nie
das Kind unmöglich behalten kann. Ich bin verzweifelt.
Mein Frauenarzt erkennt meine Not und bietet mir an, die Abtreibung vorzunehmen. Er rät mir auch, mit Noam so schnell wie möglich in die Schweiz zurückzukehren. «Ich weiÃ, wozu diese Leute fähig sind. Glauben Sie mir, sie schrecken vor nichts zurück, um Sie an einem Abbruch zu hindern», sagt er. Mit «diese Leute» meint er Shai und seinesgleichen.
Diese Botschaft verfehlt nicht ihr Ziel. Ich informiere meine Eltern, Shai soll nichts von der Schwangerschaft erfahren. Eines Morgens fragt er mich dennoch, ob ich schwanger sei, er hat die Colaflaschen entdeckt. Ich verneine.
Parallel erarbeiten Igal und ich die richtige Strategie. Ich erlebe wahrhaft unwirkliche Momente, deren Höhepunkt zweifellos die groÃe Geburtstagsfeier ist, die Shais GroÃmutter für Noam ausrichtet. Shai und ich treten als Liebespaar auf, mit dem Sohn in unserer Mitte, dabei bin ich schwanger und mein Ehemann weià nichts davon. Ebenso wenig weià er, dass ich hinter seinem Rücken die Scheidung anstrebe.
Doch dann wird Noam krank, eine normale Kinderkrankheit, aber begleitet von hohem Fieber, das heftige Krämpfe auslöst. Er muss sofort ins Krankhaus. Die Fieberkrämpfe ähneln epileptischen Anfällen und schütteln den Kleinen so fürchterlich durch, dass ich mehrmals glaube, ihn zu verlieren. Shai beeilt sich, meiner Mutter die Schuld zuzuschieben, sie habe ihn zu lange an der Sonne gelassen. Wieder muss ich meinen Vater ermahnen, ruhig zu bleiben.
Shai zeigt sich nur selten im Krankenhaus und verabschiedet sich dann rasch wieder, er müsse zum Gebet. Die Gespräche mit den Ãrzten überlässt er uns. Meine Eltern sorgen sich sehr, als sie nach Europa zurückkehren. Ich versuche sie, so gut ich kann, zu beruhigen.
In der Zwischenzeit ist die Justizmaschinerie in Gang gesetzt worden, und die Behörden akzeptieren alle Forderungen meines Anwalts. Die Verfügung, dass Noam das Staatsgebiet nicht verlassen darf, wird an sämtliche Polizeistellen weitergeleitet. Als ich eine Kopie davon erhalte, stelle ich verwundert fest, dass sie erst im Jahr 2021, also mit Noams Volljährigkeit, erlöschen wird. Im Klartext heiÃt das, dass Noam Israel während der kommenden siebzehn Jahre nicht verlassen darf. Das jagt mir einen gehörigen Schrecken ein. Igal beschwichtigt jedoch: Wir hätten diese MaÃnahme verlangt, also könnten wir sie auch jederzeit wieder zurücknehmen. Im Moment sei es wichtig, dass von Shai keine Gefahr ausgehe.
Zudem hat die für Familienangelegenheiten zuständige Richterin mir im Eilverfahren das provisorische Sorgerecht für Noam zugesprochen, Shai soll ein Besuchsrecht erhalten. Der Termin für eine gerichtliche Anhörung steht fest. Wie in Trennungsverfahren üblich, wurde einstweilen angeordnet, dass das Sozialamt unsere Situation zu Hause überprüft.
Der Moment ist gekommen, um Shai damit zu konfrontieren, dass ich ihn verlassen werde und die Scheidung verlange. Mir graut davor, ich habe Angst vor seiner Reaktion. Igal und ein befreundetes Paar werden mir beistehen.
Eines Abends, als er mich nach der Arbeit mit Noam zu Hause absetzt und gleich weiter möchte, halte ich ihn auf: «Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen, warte.»
«Ich habe keine Zeit», antwortet er.
«Ich glaube schon. Komm mit hoch», fordere ich.
Zögernd folgt er mir in die Wohnung, wo uns Igal und meine Freunde erwarten.
«Ich verlasse dich, Shai, es ist aus, ich möchte die Scheidung», sage ich freiheraus. «Das Sorgerecht für Noam liegt bei mir. Doch auch deine Rechte werden respektiert, du kannst deinen Sohn regelmäÃig besuchen. Von jetzt an werde ich auch nicht mehr zu Rabbi Asaria gehen. Und dieses Wochenende fahre ich mit Noam zu meinen beiden Freunden hier.»
Die Atmosphäre ist zum ZerreiÃen gespannt. Ungläubig schaut mich Shai an, schaut um sich und schnappt sich dann das Handy, um seinen Rabbi anzurufen. Mir entgeht, was sie miteinander reden, doch zehn Minuten später halten unten vor dem Haus drei Streifenwagen mit Blaulicht, und rund zehn Polizisten stürmen die Wohnung. Die Männer lassen nicht mit sich verhandeln und nehmen uns alle mit auf die zentrale Polizeiwache, um die Sache aufzuklären.
Nun ist Krieg, das steht für mich von diesem Moment an fest.
Die Verhöre dauern bis spät in die Nacht. Shai
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