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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Rodrian
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sie sprechen, dann müssen wir sie erst mal prüfen. Klar?« Janet hätte gern eine geraucht, aber sie durfte jetzt nicht unterbrechen. Bonet hatte sich schon in Richtung Küche verdrückt, Pia war auf dem Sprung. »Hast du mit Barbara gesprochen?« Pia schüttelte den Kopf, blieb aber immerhin stehen. »Und Dagmar? Was ist mit Dagmar?«
    »Ja. Sie war da, sie wollte mit ihr sprechen. Aber ich erreiche sie nicht ...« Pias Stimme wurde plötzlich leiser. »Sie macht sich schlimme Vorwürfe. Sie glaubt, sie habe Yolanda erst dazu gebracht, im WAD RAS zu arbeiten und sich auf Inés Alvarez und den Knastalltag einzulassen, nur um auf Barbara aufzupassen.«
    »Shit!« Janet fummelte ihr Handy heraus und tippte Dagmars Nummer.

40
    Das Duschen half nicht und das Haarewaschen auch nicht. Make-up war sowieso überflüssig. Dagmar zog helle Hosen an und eine dunkelblaue Leinenbluse. Alpargatas. Das Telefon läutete, das Handy fiepte. Immer wieder. Der Anrufbeantworter blinkte, und sicher war die Mailbox auch längst randvoll. Interessierte sie nicht. Erst als es an der Tür Sturm läutete, ging sie hin. Sie erwartete Emilio Negre, den Neffen ihrer Nachbarin, aber es war der Eilbote. Er gab ihr gegen Unterschrift ein weißes DIN-A6-Kuvert mit steifem Rücken. Auf der Rückseite der Stempel von Manel Bach.
    Dagmar bekam kaum Luft. Sie setzte sich im Arbeitszimmer an ihren Tisch und riss das Kuvert auf. Ein gutes Dutzend Fotos rutschte heraus. Sarah und Achim. Im Garten, in der Schule, bei einem Ausflug, beim Schwimmen, beim Einkaufen, bei einer Theateraufführung. Sie waren so groß geworden, sie waren so fremd. Aber sie lachten, sie wirkten glücklich und entspannt. Ihre Kinder. Es ging ihnen gut.
    Dagmar weinte. Hemmungslos. Um ihre Kinder, um Yolanda und um sich und ihre Ängste. Bei den Fotos war auch Bachs Rechnung. Dagmar schob sie zur Seite, ohne sie aufzufalten. Darunter lagen die drei Papiertütchen, die sie in der Zelle von Barbara mitgenommen hatte.
    Yolanda konnte sie nicht mehr helfen, aber Barbara. Sie musste weitermachen. Sie musste die Proben untersuchen lassen. Aber wo. Wem konnte sie trauen? Es läutete wieder an der Tür. Fast kleinlaut, nur einmal. Dagmar war in Versuchung, überhaupt nicht zu öffnen, aber dann ging sie doch zur Tür.
    Emilio Negre. Sein rundes Kindergesicht war tränenüberströmt. »Bitte, Señora Dagmar, bitte!« Er wirkte so verloren, und seine Tränen trafen auf ihre Tränen. Er stürzte sich auf sie, und sie konnte nicht ausweichen.
    »Was ist denn, Emilio, was ist denn los?«
    Er schluchzte auf und legte seinen Kopf an ihre Schulter. »Sie verstehen mich. Ich habe sie geliebt. Sie war so wunderbar. Eine echte Señora!«
    Ein erneutes Aufschluchzen, es kostete Dagmar einige Mühe, sich taktvoll von ihm zu lösen. »Sie ist eingeschlafen? Wollen Sie mir das sagen? Ihre Tante ist tot?«
    »Ja. Sie ist nicht mehr. Tante Emilia ist von uns gegangen. Bitte, lassen Sie mich jetzt nicht allein!« Er packte sie am Arm und zerrte sie mit hinüber in die Nachbarwohnung.
    Sie sah friedlich aus. Die Augen waren schon geschlossen, und ihre Haut war wieder glatt und faltenlos. Die alte Dame lag entspannt in ihren vergilbten Seidenkissen und lächelte. Vielleicht schien es auch nur so, weil ihr Kinn mit einem bunt gepunkteten Schal hochgebunden war. Ihre Hände wurden von einem Rosenkranz über der Brust zusammengehalten. Wächsern glatt, und doch konnte man die Druckstellen an ihren Fingern erkennen, die ihre Ringe hinterlassen hatten. Dagmar hätte gern noch einmal ihre Hand genommen, aber sie spürte Emilios Atem in ihrem Nacken und wandte sich um. »Es tut mir so Leid. Ich hatte Ihre Tante sehr gern.« Emilio schluchzte auf und machte Anstalten, Dagmar zu umarmen. Sie wich etwas zurück. »Wer hat sie gewaschen und umgezogen?« Emilio wies mit dem Kopf zur Küche.
    Dagmar traf den alten Dr. Portell am Tisch, einen carajillo in der Hand, die Kaffeekanne und die Coñacflasche neben sich. »Setz dich, Mädchen«, er sah nicht auf. »Sie hatte dich gern, sie hat von dir gesprochen. Heute Morgen. Da war sie noch einmal kurz bei Besinnung. Wir kannten uns schon sehr lange, weißt du.« Seine Stimme war leise, er goss sich coñac nach. »Seit siebzig Jahren. Da war sie fünfzehn, und ich dreizehn. Sie war meine Königin. Sie wird mir fehlen. Na ja, nicht lange, ich bin auch bald dran. Hier ist der Totenschein.« Er hob den Kopf, schaute sich aber nicht zu Emilio um, der hinter ihm stand. »Man müsste

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