Meines Bruders Moerderin
Stimme, wieder fest und selbstbewusst. »Sie lieben doch Treffpunkte mit einem hohen Touristenaufkommen, richtig? Ich nehme an, Sie fühlen sich da sicherer. Wie wär's also mit der Sagrada Familia?«
»Aber Paul, ich kenne mindestens drei Filme, in denen die Kirche als Schauplatz für einen Mord herhalten muss. Hatten Sie das im Sinn?«
»Ich habe es doch gewusst, Ihnen ist nichts heilig!« Herzliches, fast übermütiges Lachen.
Janet hatte sich vorgenommen, seinem ersten Vorschlag zuzustimmen, sie kam ja nicht allein, und Pia hatte sogar eine Waffe. Aber die Sagrada Familia lag im Eixample, dem Viertel der gleichgroßen Jugendstilwohnblocks, also relativ weit weg. Außerdem war die gewaltige Kirche nicht nur extrem unübersichtlich, sie war auch wie immer hinter riesigen Baugerüsten versteckt. Sie sah aus dem Fenster. »Und es wird gleich regnen. Das nagelt alle Touristen, sogar die Japaner in ihren Bussen fest. Ich schlage die Plaza Real vor. Gute Fluchtmöglichkeiten nach allen Seiten und rundum überdachte Cafés.«
»Bitte, Mylady, Ihr Wunsch ist mir Befehl. Und welches Café darf's nun sein?«
»Eins, bei dem draußen noch ein Tisch frei ist. Wir werden uns schon finden. Soll ich eine zusammengefaltete Times unter dem Arm tragen?«
»Ich wollte eine rote Nelke vorschlagen.«
Sie schaltete ihr Handy aus. Pia und Dagmar starrten sie an. Janet schüttelte sich wie ein Hund im Regen. »Ich verstehe diesen Paul Reimann nicht. Ich halte ihn für absolut skrupellos und des Mordes für fähig, aber für einen Deutschen hat er erstaunlich viel Humor. Man könnte es sogar als Charme bezeichnen. Sehr seltsam.« Sie fixierte Dagmar. »Euer Hitler soll ja auch ziemlich charismatisch gewesen sein.«
»Das ist der Unterschied«, Dagmar ging zur Tür, »ich habe null Humor. Gehen wir zu Fuß oder nehmen wir ein Taxi?«
Im Treppenhaus mussten sie warten. Zwei Männer trugen einen Sarg in die Nachbarwohnung. Dunkles Holz, poliert, mit einem goldenen Kreuz auf dem Glasdeckel und üppigen Seitenornamenten. Janet wünschte sich, sie hätte die letzte Bemerkung nicht gemacht, aber nun war es sowieso zu spät. Sie quetschte sich am Sarg vorbei und rannte hinunter. Die beiden anderen kamen kurz danach, Pia hatte den Arm um Dagmar gelegt, Dagmar weinte. Shit. Janet winkte einem Taxi, aber es war schon besetzt.
Es fing an zu regnen, und natürlich waren alle Taxis besetzt. Sie standen eng an die Hauswand gepresst. Es regnete stärker. Ein intensiver Geruch von nassem Asphalt und frischem Grün. Als sie endlich ein freies Taxi erwischten, setzte sich Pia nach vorn neben den Fahrer und Janet und Dagmar nach hinen. Janet berührte Dagmar unbeholfen an der Schulter. Dagmar lächelte sie an. Der Regen hatte sich mit den Tränen vermischt.
Das Taxi bog an der Plaça del Teatre von den Ramblas ab und schob sich über die Escudellers in die Vidre, dann ging gar nichts mehr. Pia zahlte, und sie stiegen aus.
Der Regen wurde heftiger. Sie rannten mit eingezogenen Köpfen zur Plaza Real hinüber und blieben aufatmend unter dem Arkadendach stehen.
Der Regen knallte jetzt mit tropischer Stärke herunter und drückte die Yuccas und Zierpalmen zu Boden. Gewaltige Pfützen breiteten sich zu Seen aus und bedeckten nach wenigen Minuten den Terrakottaboden des gesamten Platzes.
Kellner klappten die letzten Sonnenschirme zusammen, die Rentner waren längst von ihren festgemauerten Stühlen geflohen, und zwei junge Musiker packten ihre Utensilien so gelassen zusammen, als beträfen die krachenden und gurgelnden Wassermassen sie nicht. Bierdosen, zerknautschte Werbezettel und leere Zigarettenschachteln segelten wie Regattaboote über den Platz und hakten sich an den gusseisernen Füßen der alten Gaudílampen fest.
Über den Cafés füllten sich die Markisen mit Wasser und hingen als übervolle Ballons über den Tischen. Kellner stocherten von unten mit Besenstielen gegen die Hängebäuche und leerten sie schwappend über die Füße der aufkreischenden Touristen in den vorderen Reihen.
Janet liebte dieses Wetter. Es kam selten genug, es passte nicht hierher, und keiner konnte damit umgehen. Aber sie liebte es. Warmer Regen, der nie länger als maximal ein paar Stunden anhielt.
Sie entdeckte Paul Reimann im Café schräg gegenüber. Er saß an einem Vierertisch an der hinteren Ecke und hatte seine Bodyguards strategisch optimal hinter sich und links und rechts in den Nachbarcafés platziert. Er hatte einen Whisky on the rocks vor sich stehen
Weitere Kostenlose Bücher