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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Rodrian
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Lederblouson über der Stuhllehne am dritten Schreibtisch. Bonets alte Fliegerjacke. »Ist auch für mich irgendwo ein Plätzchen vorgesehen? Oder soll ich in die Kiste mit meinen Unterlagen schlüpfen? Übrigens, in welchem Kellerverlies ist sie denn?«
    »Das ist so, Pia«, Toni stand auf und versuchte die Geste der Höflichkeit hastig mit einer etwas wirren Blätterei in seinen Papieren zu bemänteln. »Wir sind selber überrascht worden. Das kommt ja nicht so oft vor, dass die Arbeiter schneller fertig werden als geplant.« Und zu seiner Ehre musste gesagt werden, dass er Pia bei dieser Lüge nicht ansehen konnte, dass er sogar rot wurde. Selbst sein Outfit war heute verhältnismäßig bescheiden, Dieseljeans und ein schwarzgrundiges Custo-Shirt. »Hier gibt es nur noch das equipo especial Roberto Reimann. Der ganze aktuelle Betrieb ist ins Rückgebäude verlegt worden.
    »Ich gehöre zum equipo Reimann. Vergessen?«
    »Pia, es tut mir Leid ... Ich hab keine Ahnung, red doch bitte selber mit dem Chef, okay?« Seltsamerweise schien es ihm wirklich Leid zu tun. Keine Häme, kein Jubel in seiner Stimme. Nur Verlegenheit.
    »Meine Unterlagen?«
    »In einer der Kisten hier oder in der Kammer nebenan. Steht immer drauf, was drin ist. Meistens jedenfalls.« Kurzes Kichern.
    »Und El Jefe? Don Ignacio, Señor Sanchez-García, unser aller comandante , wo geruht er zu residieren? Im Königsturm? In der Präsidentensuite?«
    Toni und Silvi erstarrten, Pia drehte sich langsam um. Sanchez teilte den Plastikvorhang wie der Held und Hauptdarsteller einer Provinzposse zum Applaus. Von den Leinenhosen bis zum Lacoste-Hemd und dem frisch gefönten Grauhaar ganz der erfolgsgewohnte Latin Lover. »Welch ein seltener Besuch. Señorita Pilar Cortes. Ich wusste ja gar nicht, dass Sie noch zu uns gehören!« Er blickte beifallheischend zu Toni und Silvi, aber beide waren tief über ihre Computer gebeugt.
    Pia gewann ein paar Sekunden. »Das weiß ich ja selber nicht. Keine E-Mails auf dem gesperrten Computer, keine Nachrichten auf dem verschwundenen Schreibtisch. Interessieren Sie sich eigentlich noch für die Ergebnisse meiner letzten Ermittlungen? Soll ich Ihnen einen Bericht schreiben? Kann mir jemand seinen Computer leihen?«
    Sanchez starrte sie wortlos an.
    Pia zwang sich zu einem coolen Lächeln. »Oder eine Schreibmaschine?« Schweigen. »Einen Kugelschreiber? Bleistift? Ein Stückchen Kohle?«
    »Ihnen ist bekannt, dass Sie immer und ständig erreichbar sein müssen, vor allem bei einem Sondereinsatz. Dass Sie sich abmelden müssen, falls Sie nicht kommen können.«
    »Ich habe mich abgemeldet. Telefonisch in der Zentrale. Meine Telefonnummer ist bekannt, mein Handy war eingeschaltet. Ich habe gearbeitet. Am Fall Reimann. Nicht im Büro. Und vielleicht auch nicht immer im Einklang mit der offiziellen Fernsehfassung des Falls Reimann. Und ich will jetzt auch nicht kleinlich meine Überstunden aufzählen. Gut vierhundert allein von Januar bis jetzt. Nein, will ich nicht.« Pia versuchte, flach zu atmen. Sie durfte jetzt nicht durchdrehen, sie durfte auf keinen Fall selbst das Handtuch werfen. Oder das Kriegsbeil. Sie musste ihren Ausweis so lange behalten wie irgend möglich.
    »Pilar«, Sanchez setzte den so verhassten Namen bewusst ein und siezte sie. »Sie wissen, dass ich Ihren Vater sehr geschätzt habe, und dass ich auch Sie immer gefördert habe. Wo ich nur konnte! Ich erwarte keine Dankbarkeit, nur etwas kollegiales Verständnis! Sehen Sie, ich bin da ein wenig in der Zwickmühle, und Sie machen es mir nicht eben leicht ... Pia«, er war wieder bei Pia, immerhin!, »bitte denk zumindest darüber nach«, und beim Du. »Ich will dir ja helfen. Manchmal brauchen wir alle ein bisschen Abstand. Ein anderes Dezernat? Nein. Gut, ich biete dir einen Monat bezahlten Urlaub, von mir aus auch sechs Wochen ...«, er kam nicht weiter, und obwohl Toni und Silvi sich hinter ihren Computerschirmen versteckten, waren ihre großen leuchtend rosa Dumboohren nicht zu übersehen. Die Rettung kam wieder durch den Vorhang. Josep Bonet. Er sah Sanchez zu spät, fiel fast über ihn und musste sich an Pia festhalten.
    »Da bist du ja, Pia. Ich suche dich überall. Bei dem Chaos hier ist ja keine normale Arbeit mehr möglich! Komm, die warten alle schon.« Er lächelte Sanchez kurz an, bei einem Hund hätte man es Zähnefletschen genannt, dann packte er Pia am Oberarm und zerrte sie hinaus.
    »Lass mich los, du tust mir weh!
    »Hast du deinen

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