Meines Bruders Moerderin
Krawatte vor einer Haustür. Schütteres Haar, das im Wind hochstand. »Bekomme ich es wieder? Nicht für mich, für Mari. Immerhin ist er ihr Vater.«
Sie fragten noch weiter, aber sie bekamen nichts Neues mehr heraus. Catalina hatte ihn in der letzten Zeit noch seltener gesehen, kaum noch mit ihm gesprochen. Er brachte Mari immer Geschenke mit, aber er ließ sich nie wirklich auf sie ein. Catalina war selbst nicht ganz gesund, sie war allein und verbittert. Mari war jetzt bei einer Nachbarin.
Catalina schaute auf die Uhr und sprang entsetzt auf. Mari war noch nie so lange ohne sie ausgekommen. Sie entschuldigte sich atemlos und stolperte zur Tür.
Isabel Ribera-Montserrat kam zwanzig Minuten zu früh. So begegneten sich die beiden Frauen in der Tür. Sie nahmen keine Notiz voneinander. Catalina huschte mit gesenktem Kopf hinaus, Isabel schritt erhobenen Hauptes herein. Sie sah aus wie Mitte zwanzig, war aber laut Akte sechsunddreißig. Sie hatte halblanges Blondhaar, ein herzförmiges Gesicht mit dunkelblauen Augen, langen Wimpern und einem vollen roten Mund. Pia konnte es förmlich knacken hören, als Bonet sich hoch reckte und seine Schultern durchdrückte. Dazu ein tief ausgeschnittenes Tigertop zu einem jeansengen Minirock. Meterlange Beine. Und ein strahlendes Lächeln voller Unschuld und Naivität. »Sie wollten mich sprechen?«
»Ja, bitte setzen Sie sich doch«, Pia deutete auf den freien Stuhl, und Bonet sprang auf, um eine frische Kaffeetasse zu holen. Sie strahlte ihn an, und er ließ fast die volle Tasse fallen. Schaffte es gerade noch, die Tasse abzusetzen und ließ sich mit einem verblödeten Lächeln auf seinen Stuhl fallen.
Von dem war keine Hilfe zu erwarten. Pia konnte mit dieser Art Frauen nichts anfangen. Diese hilflosnaiven kleinen Tischhuren, die die Männer heiß machten, nur um dann ihre Bedingungen zu stellen. Sie hätte in dieser Isabel niemals die Graumaus aus Valencia wiedererkannt, die bei ihr nach ihrem vermissten Mann nachgefragt hatte. Am Tag von San Juan. In einem anderen Leben. Hätte sie damals so ausgesehen, hätte Toni ihr den Fall nie zugeschustert. Pia musste lächeln. Im provisorischen Großraumbüro in der Laietana. Kein Makeup. Sie hatte die Haare nachlässig zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug Turnschuhe, alte Jeans und ein graues Oversize-T-Shirt. Sie war eine kleine unscheinbare Provinzhausfrau. Pia hatte sie genervt zurück nach Valencia geschickt. Jetzt kippte sie ihren Stuhl zurück und zwang sich zu einem höflichneutralen Gesichtsausdruck. »Es geht um Ihren Mann. Gabriel García-Montserrat. Sie haben ihn als vermisst gemeldet?«
»Ja, schon vor Wochen. Ich war deswegen doch bei Ihnen! Sechs Wochen! Da ist doch was passiert!«
»Er arbeitet bei Toshiba?«
»Er ist der beste Computertechniker, den sie haben. Er ist zuständig für ganz Katalonien. Ich sehe ihn nicht so oft, aber wir telefonieren immer und schicken uns SMS.«
»Haben Sie bei Toshiba nachgefragt?«
»Das darf ich nicht. Das ist den Angestellten verboten. Er hat ja das Handy. Aber er meldet sich nicht! Nicht mal auf der Mailbox!« Isabel bekam feuchte Augen und sah Bonet hilfesuchend an. Er lächelte aufmunternd und schenkte ihr mit zittrigen Fingern Kaffee nach. Pia war nicht sicher, ob er überhaupt zuhörte. Gabriel García-Montserrat alias Juan Bautista-De las Torres hatte für sein Doppelleben viel lügen müssen. Unter dem Namen Montserrat war er natürlich bei Toshiba nicht bekannt.
»Ihr Mann hat ein künstliches Gebiss?«
»Er hatte einen Autounfall, das war, bevor wir uns kennen gelernt haben. Und bei einem Schulungslehrgang seiner Firma in Budapest hat er sich dann die Zähne machen lassen. Das war viel besser und viel billiger als hier.«
»Sie sind doch viel jünger als Ihr Mann ...«
»Mich hat das nie gestört. Ich liebe ihn so, wie er ist! Charmant, großzügig, ein Gentleman ...« Die erste Träne verließ das Auge, lief außen über den Wangenknochen und tropfte auf den rechten Busen. Bonet reichte Isabel ein Päckchen Papiertaschentücher, riss es fürsorglich für sie auf und sah Pia vorwurfsvoll an.
Pia löste bei Männern nie Beschützerinstinkte aus. Sie fand Isabel und ihr ganzes Theater zum Kotzen. Schämte sich für diese extrem unprofessionelle Reaktion und legte seifiges Mitgefühl in ihre Stimme. »Ich verstehe. Haben Sie vielleicht ein Foto von Ihrem Mann?«
»Er mag es nicht, fotografiert zu werden«, Isabel kramte in ihrer winzigen Gürteltasche
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