Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Rodrian
Vom Netzwerk:
herum. »Dabei sieht er so toll aus, wie Michael Douglas, finde ich.« Sie hatte das Foto gefunden und reichte es über den Tisch.
    Es war ein Neunmalzwölf-Farbfoto mit einem kleinen Riss am oberen Rand. Eine Gartenparty, Luftballons und ein etwas korpulenter Mann in T-Shirt und Schlabberbermudas am Grill. Er wendete gerade einen Hühnerschenkel und war nur im Halbprofil zu erkennen. Er sah wirklich nicht schlecht aus. Markante Nase und lichtes Grauhaar.
    Es war derselbe Mann wie auf dem Foto von Catalina Lorente, verlassene De las Torres.
    Und plötzlich war Pia ganz sicher, er war auch der unbekannte Tote im Ferrari.

V. Llimona 5

34
    Der Trompeter sah süß aus. Keiner in der Band war älter als dreißig, aber er wirkte wie höchstens siebzehn. Schmal und Riesenaugen. Ein bisschen wie Robbie Williams. Er schien nur sie anzusehen. Seine goldene Trompete glitzerte im Kerzenlicht.
    Anna war erstaunt, dass sie ihn überhaupt wahrnahm. Neben ihr standen drei Jungen, und auch sie schauten schon zu ihr her. Sie nahm ihre Cola und ließ sich von der Bar nach hinten abdrängen.
    Es war dunkel und rappelvoll, und immer mehr Leute drängten herein. Ein verräuchertes Gewölbe mit tropfenden Kerzen auf der Bar und den kleinen Tischen. Als sie den schwungvoll auf das rostige Rollo gesprühten Namen Harlem gesehen hatte, wäre sie nie im Leben auf die Idee gekommen, dass hier einer der angesagtesten Jazzklubs von ganz Barcelona swingte. Sie suchte nur einen Fluchtweg, ein Versteck, und das offene Tor bot sich an. Weiß gekalkte Treppen in den Keller, und jede Menge junge Leute, ebenso lässig angezogen wie sie selbst. Erst, als sie unten war merkte sie, dass sie in der Falle saß.
    Es war kurz nach zwei, keine Uhrzeit hier in Barcelona. Anna hatte seit drei Tagen nicht geschlafen, und von Zeit zu Zeit überkamen sie diese Anfälle von tödlicher Müdigkeit. Im Moment war sie ziemlich klar. Die Cola half, sie musste nur langsam trinken.
    Sie stand jetzt ganz hinten an der grob gekalkten Mauer und war damit so gut wie unsichtbar. Sie trug Springerstiefel, halblange Trekkinghosen, und eine Camelweste über dem schwarzen T-Shirt. Annas Mutter war Deutsche gewesen, ihr Vater Amerikaner. Beide blond wie auch ihre Brüder. Nur sie selber hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Sie war relativ groß, einssiebenundsiebzig, aber sie wog keine fünfzig Kilo. Sie war nicht geschminkt und das Haar war zu lang und musste dringend gewaschen werden. Sie hielt sich für unsichtbar.
    »Die sind richtig gut, die Jungs«, der Typ neben ihr war groß, trug einen gewaltigen blauweißen Burnus und stützte sich auf einen Stock mit Silberknauf. In der anderen Hand hielt er ein Bier. Er war deutlich älter als die meisten Gäste hier, und er wirkte wie jemand, der für jedes Problem eine Lösung wusste. Der Typ schob sich wie ein Bollwerk zwischen sie und die Treppe, über die immer mehr Leute hereindrängten. Und es war ein gutes Gefühl, so in seinem breiten Schatten zu stehen.
    » I fall in love too easily «, sagte sie leise. Jazz hatte Anna nie sonderlich interessiert. Sie erkannte den Titel trotzdem sofort wieder. Gerda hatte Miles Davis rund um die Uhr gespielt.
    Die alte Finca auf Ibiza. Da gab es schon den Swimmingpool, Strom, fließendes Wasser, Fußbodenheizung und auch sonst jeden erdenklichen Luxus. Nur Paul gab es nicht mehr. Paul war plötzlich Geschäftsmann und kaum noch zu Hause. Das war kurz nach ihrer Geburt passiert, und von Polly und Frankie, ihren Brüdern, hörte sie immer wieder von der Zeit damals. Als alles noch ganz primitiv war, als man das Wasser noch mit dem Eimer aus der Zisterne holen musste, als die Kerzen tropften, das Petroleum stank, und eine Aladinlampe schon Luxus bedeutete. Als es bei ihnen einen der seltenen Batterieplattenspieler gab und jede Menge Jazzplatten. Die Zeit der rauschenden Fullmoonparties. Als Gerda und Paul sich noch liebten. Als sie noch eine glückliche Familie waren.
    Als es sie noch nicht gab.
    In Annas ersten Erinnerungen gab es weder Mutter noch Vater, weder Gerda noch Paul. Ihre Brüder kümmerten sich um sie, schleppten sie überallhin mit, zeigten ihr alles und brachten ihr bei, was sie wussten. Paul jr. und Frank. Polly war bei ihrer Geburt fünfzehn, ein rundlicher, etwas ungeschickter Einzelgänger, der alle Bücher las, deren er habhaft werden konnte, Frankie war dreizehn, durchtrainiert und Juniormeister der Balearen im Surfen und der Schwarm aller Mädchen.
    Sicher, Polly hatte mehr

Weitere Kostenlose Bücher