Meines Bruders Moerderin
vor der Tür standen.
Die Brüder waren irgendwie erwachsen geworden, elegant und männlich. Polly nicht mehr ganz so dick, Frankie dafür etwas stärker. Anna freute sich, sie zu sehen und lief ihnen entgegen. Sie trug einen Blaumann und war ölverschmiert. Polly erkannte sie erst an ihrer Stimme. »Guten Tag, Anna«, er umarmte sie nicht, er gab ihr nur vorsichtig die Hand und wischte sie danach hastig ab.
Annas erster Impuls war, die Brüder hereinzubitten und sie ihrer neuen Familie vorzustellen. Aber dann bemerkte sie ihre Blicke, die tiefe Verachtung für die kleine Schmuddelklitsche, die Provinzfamilie und Annas Leben hier.
Paco und sein Vater kamen, um sie zu begrüßen. Sie stellten sich mit Paul und Frank vor und erklärten, keine Zeit zu haben. Amigo bellte und sprang um Frankie herum. Frankie trat nach ihm. »Können wir irgendwo reden?«
Anna nahm Amigo auf den Arm. »Ja. Hier und jetzt.«
Es ging um Geld. Polly und Frankie gab es nicht mehr. Sie waren jetzt Paul und Frank, amerikanisch ausgesprochen. Gerda war besoffen Auto gefahren und über die Klippen gestürzt. Sie war seitdem querschnittsgelähmt und nicht mehr ganz richtig im Kopf, sie konnte nicht sprechen und sich an nichts mehr erinnern. Bis jetzt wurde sie noch zu Hause gepflegt, aber das war keine Lösung, sie musste in ein Heim. Auf Mallorca gab's eins, das sie aufnehmen würde. Anna versuchte, etwas zu empfinden, aber Gerda war ihr fremd geblieben.
Dann kamen die Brüder zum eigentlichen Grund ihres Besuchs. Die Familie in Amerika machte Probleme. Offensichtlich hatte Paul Zweifel an seiner Vaterschaft gehabt. Vor allem in Bezug auf Anna. Der Dunkelhaarigen. Er hatte in seinem Testament verfügt, dass Gerda und ihre Kinder nur dann in den Genuss des Geldes kommen sollten, wenn ein Gentest aller drei Kinder seine Vaterschaft beweisen würde. Er selber hatte zu diesem Zweck Haare und Speichelproben notariell beglaubigt in einem Labor in Barcelona hinterlassen.
Paul und Frank hatten den Gentest gemacht und bestanden. Logo. Jetzt ging es nur noch um Anna. Und sie hatten eine Scheißmühe gehabt, sie zu finden. Was ihr eigentlich eingefallen wäre, einfach abzuhauen und sich nie zu melden!
Anna verstand nicht wirklich, um was es ging. Sie dachte an Gerda und wartete auf ein Gefühl des Mitleids oder der Sorge. Aber sie sah nur Polly und Frankie und begriff, dass sie die beiden ebenfalls verloren hatte. »Das Geld interessiert mich nicht«, sagte sie, und: »Bitte, geht jetzt!«
Sie gingen nicht. Sie redeten, sie schrien, Paul packte sie sogar am Arm. Doch da stand plötzlich Paco neben ihr, einen schweren Schraubenschlüssel in der Hand.
Sie zögerten, gingen dann aber zu ihrem Leihwagen. »Wir kommen wieder, überleg's dir!«, und fuhren ab.
Anna setzte Amigo ab und nahm Paco den Schraubenschlüssel weg. »Ich liebe dich«, sie küsste ihn, und nicht mal sie wusste, dass dies der Abschied war.
In der Nacht konnte Anna nicht richtig schlafen. Immer wieder glaubte sie, draußen Geräusche zu hören. Sie stand sehr früh auf und schlich sich aus dem Haus.
Vor der Tür lag Amigo mit durchgeschnittener Kehle. Tot.
Anna weinte nicht. Sie begrub Amigo, packte ihre paar Sachen zusammen und schrieb eine kurze Notiz für Paco. > Wir werden uns nie wiedersehen. Bitte, such mich nicht. Ich liebe dich. Und deine Familie. Ich war glücklich bei euch. Danke. <
Sie hatte etwas Geld gespart, das eigentlich für den Hausbau gedacht war. Im mädchenhaften Sommerkleid nahm sie den Bus zum Flughafen. Dort zog sie sich um und buchte einen Platz für die nächste Maschine, das war Barcelona. Es entsetzte sie, dass die beiden nicht davor zurückgeschreckt waren, Amigo zu töten. Aber als sie weiter darüber nachdachte, überraschte es sie auch nicht sonderlich. Es waren ihre Brüder. Aber sie hatten immer von der Zeit vor ihrer Geburt geschwärmt. Und in den letzten Jahren hatten sie sich augenscheinlich verändert. Polly und Frankie hatten immer nur an sich gedacht. Jetzt waren sie skrupellos.
Anna kannte sich in Barcelona nicht aus. Sie war noch nie hier gewesen. Es war dunkel. Und heiß. Sie wagte es nicht, in ein Hotel zu gehen. Sie stromerte am Hafen herum, kam in die Altstadt, in den barrio gótico und in diese Jazzkneipe. Sie war müde und erschöpft und nicht geübt in der Kunst der ständigen Vorsicht. > You say you care <, intonierte die Band. John Coltrane. Als Paul und Frank die Treppe herunterkamen, erkannte sie sie wieder nicht sofort.
Weitere Kostenlose Bücher