Meines Bruders Moerderin
Zeit mit ihr verbracht, aber sie war Frankie nachgelaufen. Damals waren sie immer draußen, und auch sie war das ganze Jahr über braun gebrannt, das dunkle Haar von Salz und Sonne zu einem strohigen Blond ausgebleicht.
Gerda kümmerte sich um nichts. Sie blieb in der Finca, trank Whisky und hörte Jazz. Es gab keine Feste mehr und kaum noch Freunde. Wenn Paul zu Besuch kam, war er ein Fremder. Schön, elegant, beladen mit Geschenken. Und für kurze Zeit erwachte Gerda aus ihrer Lethargie. Sprühend, charmant, lebendig.
Polly ging regelmäßig zur Schule, er wollte Abitur machen und in Barcelona studieren. Frankie schwänzte schon die Wochen vor den langen Sommerferien, und er deckte Anna, falls jemand ihren Schulbesuch kontrollierte, was kaum vorkam. Zärtlichkeit oder Geborgenheit lernte sie nie kennen. Sie rauchte mit neun ihre erste Zigarette, trank mit zehn und zog mit zwölf am ersten Joint. Mit vierzehn probierte sie Koks und ein Jahr später war es Heroin. Sie war jung, schön und reich, und sie flippte über die heißeste Insel der Welt. Sie war der Star einer Meute falscher Freunde.
Eines Morgens kam sie nach Hause und sah den Krankenwagen und die Polizeiautos vor der Finca stehen. Sie war so zugedröhnt, dass es zwei Tage dauerte, bis sie verstand, dass Paul beim Tauchen verunglückt war. Dass er tot war. Ihr Vater.
Die Beerdigung fand gleich am nächsten Tag statt. Bei glühender Hitze auf dem staubig ausgedorrten Friedhof. Eine bunte Menschenmenge drängte sich um das Grab, nur die Deutschen waren in Schwarz. Polly versuchte, eine Rede zu halten, brach aber mittendrin in Tränen aus. Gerda war so betrunken, dass sie von Frankie und Anna gestützt werden musste. Eine sehr junge Frau im schwarzen Stretchmini mit langer blonder Mähne warf eine Rose ins Grab. Starrte zu Gerda herüber und wandte sich dann ab. »Puta«, quetschte Frankie hervor, Nutte. Anna hatte Mühe, die Zeremonie durchzustehen, obwohl sie kaum länger als zwanzig Minuten dauerte.
Danach veränderte sich alles.
Paul stammte aus einer schwerreichen Familie in Atlanta und hatte zwischen Universität und wirklichem Leben ein Jahr Europa zugestanden bekommen. Damals war Ibiza noch eine kleine, stille Fischerinsel. Aber Paul erkannte den Wert von Sand und Meer sofort und kaufte ganze Strandregionen auf. Und blieb. Die Familie in Atlanta sperrte die Dollars, aber Paul kam auch so durch. Mit Gerda, Paul junior und Frank. Irgendwie. Dann begann der Tourismus zu boomen und Paul machte ein Vermögen. Anna wurde geboren.
Gerda war Malerin. Anna hatte sie nie mit einem Pinsel in der Hand erlebt, aber überall im Haus hingen noch die fröhlichen farbenfrohen Bilder aus früheren Zeiten. Sie hatte für Paul nicht nur die Malerei aufgegeben. Es war schon lange zu spät. Gerda soff vor sich hin und hörte Miles Davis & Co.
Polly hatte nie studiert, er hatte nicht mal das Abitur gemacht. Er hatte keine Freunde, hing in den Bars herum und machte plump aggressiv die Touristinnen an. Er war jetzt einunddreißig, und hatte einen Auto- und Mopedverleih in Santa Eulalia. Frankie surfte nur noch zum Vergnügen, jobbte im Winter auf dem Bau und im Sommer als Kellner in einer Strandbar. Er und seine Kumpels zogen die Mädchen reihenweise ab. Fast jede Nacht gab es Schlägereien.
Und plötzlich waren sie reich.
Pauls Vater, der alte Walter Guzman war schon fast achtzig und zu krank, um zu Pauls Beerdigung zu kommen. Er starb kurz danach, und seine Frau Marian und sein zweiter Sohn Dennis gaben Paul und seiner Familie die Schuld daran.
Für Anna hatten der große Grandpa und die family in Atlanta bisher nie eine Rolle gespielt. Soviel sie wusste, hatten sie Paul in dem Moment fallen lassen, als er Gerda heiratete. Polly und Frank kannten die Geschichte genauso wie sie, aber plötzlich entwickelten sie einen extremen Familiensinn in Richtung Atlanta. Polly verkaufte seinen Autoverleih und teilte das wenige Geld, das die Bank ihm danach noch ließ, großzügig mit Frankie, der seinen Kellnerjob von heute auf morgen kündigte und sich erst einmal neu einkleidete. Sie schickten E-Mails und Faxe nach Amerika und planten ihren Umzug. Gerda schwieg zu allem. Sie trank und hörte die alten Jazzplatten.
Anna bekam all das nur am Rande mit. In dieser Zeit nahm sie mehr Zeug denn je. Ihre Freunde umkreisten sie und versorgten sie großzügig. Aber ein Rest von Hirn wehrte sich plötzlich. Es gab keinen direkten Auslöser, und auch viel später konnte Anna nie
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