Meines Bruders Moerderin
Nachricht.
Sie hatten sich den Vertrag nicht angesehen, geschweige denn unterschrieben. Sie hatten nicht einmal eine Quittung verlangt. Auch für diese angeblichen fünftausend Erfolgsprämie gab's nichts außer dem Wort des Trainierten, Frank. Sie wollten offensichtlich keine Spuren hinterlassen. Das war die schlechte Nachricht.
Janet ging ins Büro zurück, packte die Geldscheine und die Tonbandkassette in den Safe und tippte ein Gedächtnisprotokoll in den Computer. Plus eigene Beobachtungen und Vermutungen. Fast zwei Seiten, die sie ausdruckte und gut sichtbar auf den Konferenztisch legte. Sie zögerte.
Das Foto war in Farbe, dreizehn mal achtzehn. Der Hintergrund verschwommen. Felsen, das Meer rau. Winter. Das Mädchen war dünn wie ein Junge, trug einen schwarzgelben Neoprenanzug und auf dem Kopf eine Kappe über langen ausgebleichten Haaren. Sie sah direkt in die Kamera, ohne zu lächeln. Ein klares, intelligentes Gesicht mit gerader Nase und vollen Lippen. Und traurigen Augen. Leeren Augen.
Eric. Eric vor zehn, zwölf Jahren. Ein schlaksiger Junge zwischen Kind und Mann. Plötzlich blieb er nächtelang weg, ohne Bescheid zu sagen. Janet fand Schnaps, Gras, Koks und jede Menge pastellbunter Pillen in seinem Zimmer, ganz offen im Regal oder auf dem Boden vor dem Bett. Und sie musste ihn immer wieder bei der Polizei auslösen. Weil er sich geprügelt hatte, ein Moped geklaut oder sonst irgendwelchen Mist angestellt hatte. Er ging nicht mehr zur Schule, er las nicht mehr, er zeichnete nicht mehr, er verdumpfte vor ihren Augen. Janet mochte die Typen nicht, mit denen er zusammen war, aber, wenn sie etwas sagte, hörte er sie gar nicht. Sie kam nicht mehr zu ihm durch. Sein Gesichtsausdruck blieb gleichmäßig verdrossen, seine Augen leer ...
Janet duschte und zog sich um. Dagmar und sie hatten einige Klamotten in eines der Extrazimmer gelegt. Groß war die Auswahl nicht. Janet nahm ein Sommerkleid aus klein geblümter Baumwolle und ehemals weiße Sandalen. Dann schob sie das Foto in ihre Tasche und fuhr mit dem Lift hinunter.
Paul und Frank Guzman, die Brüder, die zweitausend Euro cash mit sich herumtrugen, waren gesund und wohlgenährt. Nicht sie brauchten Hilfe, sondern die kleine Anna.
Es war erst halb zehn. Paul Reimann war zwar Frühaufsteher, aber er verließ das Haus nie vor elf Uhr. Er war am Tag nach ihrem Treffen aus dem Hotel ausgezogen und hatte sich zwei Appartements am Yachthafen gemietet, eins für seine Bodyguards und eins für sich.
Seitdem observierten sie ihn. Locker. Abwechselnd im Turnus. Bisher hatten sie nichts von Bedeutung beobachten können. Außer dass er sich mit dem Bürgermeister, dem Polizeichef, dem Staatsanwalt und einigen anderen Honoratioren der Stadt zum Golf traf. Dass er verschiedene Kirchen besuchte, dass er reichlich spendete und einen neuen Kindergarten mit seiner Gegenwart beehrte. Dass er eine Kunstausstellung eröffnete und ein Interview im katalanischen Sender TV 3 gab.
Für einen Mann mit so vielen Verpflichtungen hatte er erstaunlich viel Zeit. Er hatte irgendetwas vor. Janet vermutete, dass er die Millionen suchte, die sein Bruder Robert abgezogen und versteckt hatte. Sicher nicht in Barcelona. Aber die Spuren gingen von hier aus. Die Zeugen waren hier. Und ein Mann mit so viel Geld und Einfluss war nie allein.
Sie mussten eine Möglichkeit finden, sein Telefon anzuzapfen und irgendwie in seinen Computer zu kommen. Pia wollte von solchen Methoden nichts wissen, sie konnte richtig durchdrehen, wenn Janet auch nur die Möglichkeit erwähnte. Und Dagmar war fast noch schlimmer. Eine Polizistin und eine Anwältin. Eine bürokratische Katalanin und eine Deutsche! Janet seufzte tief auf. Das musste sie allein durchziehen. Aber dafür hatte sie heute nicht genug Zeit. Gleich war sie mit der Überwachung dran.
Der nächste Copyshop war in der Ferran, laut Schaufensterreklame machten sie auch Digital- und Farbkopien. Janet legte das Foto von Anna auf den Tresen. »Können Sie mir dreißig Kopien machen?«
Ein junges Mädchen mit pickligem Gesicht, strähnigem Haar und einem Kaugummi im Mund nahm das Foto, ohne es anzusehen, und begann, es zu kopieren. Sie kaute und wippte zu einer Melodie, die nur in ihrem Kopf zu hören war. Der Preis für die dreißig Kopien war gigantisch, und Janet ärgerte sich, nicht vorher gefragt zu haben. Sie zahlte und ging wieder zurück, über die Plaça de Sant Jaume in den Carrer Jaume I.
Ein Eckhaus mit Apotheke und einem
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