Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
NSDAP. Scharfer öffentlicher Disput mit Pg. S. über Tarifverhandlungen. Anschließend unangenehmes Gespräch«. Kein Wunder. Es gibt keine Tarifverhandlungen mehr. Tarife verfügt die »Deutsche Arbeitsfront«, Punkt, aus. Aber daß HG den Mund halten soll, ist ihm neu. Am 30. Mai: »Abendessen Verein mitteldeutscher Arbeitgeber in Magdeburg mit interessanter Diskussion. Die nationale Erhebung steckt in der allgemein erwarteten Krise – aber wir wollen ihr durchhelfen.« Es hat was Rührendes.
Vielleicht geht HG deshalb zur SS. Das ist ja immerhin die »Elite« der Partei, außerdem ein militärischer Verein, da gibt es den Respekt vor Offizieren, damit kennt er sich aus. Es kam vorher noch zu zwei Gesprächen mit Partei-Oberen »wegen Hochdienens in der NSDAP«, ohne Ergebnis offenbar. HG hat keine Lust auf die Ochsentour. Er will was bewegen, nicht bewegt werden. In der SS soll er eine Reiterstaffel aufbauen, er wird Führer des Reservesturms 4/ 21. Ob er darüber nachdenkt, daß er einer Mörderbande beitritt?
Erstmal bedeutet die SS Arbeit für HG. Ab jetzt gehen die Wochenenden vollends drauf, seine Jungs müssen anständig reiten lernen, und wenn sie sich besaufen, gibt es Ärger. Es entsteht ein Haufen Schreibkram, Vorgesetzte kommen zur Besichtigung von HGs Reitern – warum braucht man Pferde zum Morden? HGs Truppe mordet nicht, jedenfalls nicht, solange er sie in den Fingern hat. Das wüßte ich. Aber sie paradiert. Die Uniformen sind makellos, HG hat sich auch welche schneidern lassen. Kann das wirklich sein? Ein intelligenter, erwachsener Mann zieht eine Uniform an, und dann ist er glücklich? Jedenfalls tauchen diese Uniformen auf trotz Zeilenknappheit im Tagebuch – »in SS-Uniform nach Magdeburg«, »Kasinofest, ich in SS-Uniform«, immer wieder. Trotzdem gibt es kein Foto von ihm in dieser schwarzen Montur.
Den Reservesturm gibt HG im Juli 1934 wieder ab, das ist kurz nach dem sogenannten Röhmputsch, bei dem SS-Leute die Mörder waren. Ob HGs Rückzug damit zu tun hat, weiß ich nicht. Er tritt nicht aus, und ich kann nicht beurteilen, ob das schadlos gegangen wäre. Ab dann ist nur noch selten eine SS-Aktivität vermerkt, Parteiveranstaltungen so gut wie gar nicht. Es gibt kein Foto von HG, auf dem er das Parteiabzeichen trägt, auch habe ich keinen Brief von ihm gefunden, den er mit »Heil Hitler« oder dem »deutschen Gruß« unterschrieben hätte. Die muß es gegeben haben, sowohl geschäftlich für die Firma als auch dienstlich im Krieg, privat gab es sie nicht.
HG mutiert zur Kartei-Leiche, er blüht erst wieder auf im Frühjahr 1935 mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und dem Aufbau der Wehrmacht. Als Reserve-Leutnant ist er immer wieder im Manöver, er avanciert schnell zum Oberleutnant, dann zum Hauptmann, jetzt nicht mehr bei seinen Dragonern, sondern beim 12. Infanterie-Regiment, das in Halberstadt seit Generationen zuhause ist. Das macht ihm Spaß, zweimal finde ich im Tagebuch ein »Schade!«, als die Übungen im Münsterschen Sennelager und anderswo zu Ende sind.
Als Grund für den Rückzug aus Partei und SS hat HG Belastung in der Firma angegeben – und die ist allerdings erheblich. Der neue »Reichsnährstand«, eine Zusammenfassung aller mit Lebensmitteln befaßten Branchen vom Bauern bis zum Bäcker, schnürt den Betrieben die Luft ab. Mittels seiner staatlichen »Festpreisverordnung« ist jeder unternehmerische Spielraum zugeschüttet, Gewinn kaum zu machen, der Landhandel hat nur noch Verteiler- und Lagerfunktion. HG und Kollegen kämpfen auf allen Ebenen dagegen an, ohne jeden Erfolg.
Er tobt in seinem Tagebuch: »Die Festpreisverordnung wirkt sich verheerend aus!« – »Es fehlt Bargeld. Weil wir nicht mehr wirtschaften können, kommt kein Geld. Wovon soll ich die Gefolgschaft bezahlen!« – das sind 100 Leute – »Vorschlag Landhandelsbund: Hälfte der Mitarbeiter entlassen.« – »Man kann allerhand schaffen, aber ob wir durch diese Situation durchkommen?« – »Das agrarpolitische Amt will unsere Süßlupinen beschlagnahmen.« Soweit kommt’s noch. HG setzt sich durch – »schauderhafte Verhandlungen, schließlich Kuhhandel wegen Lagerkapazität. Süßlupinen gerettet«. Die Firma wäre diesmal beinahe wirklich vor die Hunde gegangen.
Ferien in Dänemark
Z EHN
A UCH 1933 IST F AMILIENTAG . Den kann ich nicht auslassen, aber ich muß mich zusammennehmen, um aufschreiben zu können, was jetzt dran ist. Die Sippe versammelt sich am 28.
Weitere Kostenlose Bücher