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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Spannung konnte man freilich nicht sehen«, und ich bezweifle, daß Klamroths und ihre Freunde ihn realisiert haben. Else allerdings notiert im Kindertagebuch: »Es ist eine sehr intensive Zeit, in der wir leben, und ich bin angespannt und nervös.« Sie wird nicht wissen, warum.
    Die Frau hat aber auch was um die Ohren! Für 1933 zählt sie 51 (!) Menschen Hausbesuch zusammen, da sind die Abendgäste nicht dabei – das Mühsamste wäre für mich, daß man mit allen reden muß. Trotzdem schafft sie noch eine Menge Kinderaktivität – Else wird das nicht für die Tagebücher erfunden haben, denn sie schreibt ihre Terminkalender ab und haßt erfundene Geschichten. Sie geht mit den Kindern – mit vielen Kindern, Gästekindern, Ferienkindern – zum Skifahren, zum Schlittschuhlaufen, ins Sommerbad. Sie beklagt, daß das mit dem Reiten und den Kindern nichts wird, weil die Pferde für Kinder nicht geeignet sind. Else spielt mit ihnen Gesellschaftsspiele – ungern, das kann ich nachfühlen – »Poch« ist dran und immer noch »Mah-Jongg«. Es wird viel gesungen, mehrstimmig, Kanons, seit neuestem Hitlerlieder.
    Vor allem liest Else vor, das ganze Jahr über, vorwiegend natürlich im Winter. Es gibt Rituale, die habe sogar ich noch erlebt nach dem Krieg. Beim ersten Schnee Bratäpfel und Märchen am Kamin – zu meiner Zeit war das ein Kanonenofen. In der Adventszeit hat jeder Sonntag seine eigenen Lieder, auswendig bitte und alle Strophen: etwas spröde noch am ersten Advent »Es kommt ein Schiff geladen« und »Maria durch ein Dornwald ging«, sich steigernd über »Alle Jahre wieder« und »Macht hoch die Tür« bis zu »In dulci jubilo«, »Quem pastores laudavere«, »Es ist ein Ros’ entsprungen«, »O du fröhliche« und »Fröhlich soll mein Herze springen«. Die sind erst kurz vor Weihnachten zugelassen.
    Immer nur eine Kerze pro Adventssonntag, braune Kuchen, deren Teig schon Wochen vorher auf dem Schrank gestanden hat, allmählich auch ein Stück Marzipan und kandierte Walnüsse – und Weihnachtsarbeiten. Kinder dürfen nichts Gekauftes verschenken, und so wird gebastelt, gesägt und geklebt. Ich möchte nicht wissen, wie viele verschrumpelt gewebte Nadelbücher und laubgesägte Schlüsselborde da jedes Jahr verteilt wurden. Else bastelt nicht, Else liest vor. 1933 ist das »Soll und Haben« von Gustav Freytag – warum wohl alle Generationen Klamroth-Kinder mit diesem Schauerstück gequält wurden? 1934 ist Paul Keller dran, nicht Gottfried, »Ferien vom Ich«, das hat schon was von »Kraft durch Freude«.
    Heiligabend ist auch Ritual. Der Baum wird am 23. abends geputzt, mit dabei sein dürfen Kinder erst ab der Konfirmation. Das Weihnachtszimmer wird abgeschlossen. Um halb vier am 24. gibt es eine familiäre Weihnachtsfeier in einem dunklen Raum weit weg vom Weihnachtszimmer, nur die Kerzen brennen am Adventskranz. Lieder, Blockflöten, Gedichte. Die Weihnachtsgeschichte Lukas 2, alle drei Teile, auswendig (!) vorgetragen von je einem Kind, dazwischen Kanons – »Lasset uns nun gehen gen Bethlehem« und »Ehre sei Gott in der Höhe«, letztes Lied »Ihr Kinderlein kommet«. Die kommen nicht, die müssen warten, mucksmäuschenstill, bis im Weihnachtszimmer die Glocke läutet, eine schwere, reich verzierte Messingglocke, die auch meine Töchter jedes Jahr ins Weihnachtszimmer gerufen hat.
    Dann geht es los durch das stockdunkle Haus, die Treppe rauf, langsam bitte den langen, langen Flur entlang, an dessen Ende die Tür offensteht und den Blick freigibt auf den deckenhohen Weihnachtsbaum mit Mengen brennender Kerzen. HG orgelt am Klavier »Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen«, alle singen auf dem Weg, fünf Strophen brauchen sie, bis sie da sind. Ein Lied lang noch werden die Kinder auf die Folter gespannt, im Halbkreis vor dem Baum – man darf sich nicht umdrehen und schon mal gucken, was auf den Weihnachtstischen liegt. »Süßer die Glocken nie klingen« dröhnt HG am Klavier, kein anderes Weihnachtslied läßt sich so schön verschnulzen, und in dieser Singe-Familie tanzen die Ober- und Unterstimmen, daß es seine Art hat.
    Immer noch nicht sind die Geschenke dran, denn jetzt eilen alle zur Christmette im Dom, diesem unglaublich schönen Halberstädter Dom. Noch mal alle Lieder, eine Orgel, die über den weiten Platz dröhnt, gewaltige Glocken, viele, viele Menschen. »Fröhliche Weihnachten!« Auf dem Rückweg durch den knirschenden Schnee zählen die Kinder die brennenden

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