Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
verhaftet und dabei erschossen, 7 hohe SA-Führer, darunter Heines, standrechtlich erschossen wegen Meuterei!!!« Offiziell kommen 83 Menschen, auch Röhm, bei diesem Gemetzel ums Leben, darunter 50 Angehörige der SA. Tatsächlich waren es vermutlich mehr. Hintergrund ist der Führungsanspruch der SA mit ihren 4.5 Millionen Mitgliedern gegenüber der Reichswehr, und wenn man den Nachrichten aus dieser Zeit glauben darf, sprach Hermann Göring vor dem Reichstag der Bevölkerung aus der Seele: »Wir alle billigen immer das, was unser Führer tut.«
Am 2. August 1934 stirbt der 86jährige Hindenburg – HG: »Es ist uns allen, als ob ein Familienmitglied fehlte«. Hitler macht sich zum Reichspräsidenten und Reichskanzler in Personalunion, woraus der »Führer und Reichskanzler« wird. Noch am selben Tag werden die Soldaten im ganzen Land neu vereidigt, nicht mehr auf die Verfassung oder das Vaterland, sondern: »Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.« Das ist es. Dieser Eid machte den Widerstand gegen Hitler so schwer.
Davon ist aber jetzt keine Rede. Die Deutschen dürfen das wieder abnicken in einer Volksabstimmung am 19. August, wobei tatsächlich eine Menge Menschen das Nicken verweigert. 10.1 Prozent der gültigen Stimmen sind Nein-Stimmen, zusammen 4 300 429. Zählt man die ungültigen Stimmen dazu – fast 900 000 –, so haben sich 1934 mehr als fünf Millionen widersetzt. Aber was ist das schon bei 38 Millionen Ja-Stimmen! Die Mehrheit feiert. Else in den Kindertagebüchern wiederholt sich voll Begeisterung: »Einigkeit! Wer hätte gedacht vor fünf Jahren, daß Deutschland sich so zusammenfinden würde!« Es wird aber auch zusammengetrommelt: über Lautsprecher, durch das Radio, mit Tschingdara auf den Straßen. Die Kinder schwenken Fähnchen im Spalier, sie marschieren im Gleichschritt bei den Jungmädels, sie schwingen Keulen mit der Turnerschaft auf dem Domplatz und sprechen Treue-Gelöbnisse am nächtlichen Lagerfeuer.
Jeden ersten Sonntag im Monat wird Eintopf gegessen und das gesparte Geld dem »Winterhilfswerk« übergeben. Wenn Else nichts mehr einfällt, was sie zusammenkochen kann, gehen alle in die Garnison oder zur SS-Kaserne, wo man Eintopf aus der Gulaschkanone kauft – die Kinder, behauptet Else, finden Kochgeschirre spannend. Am Bismarckplatz wird auch gefeiert, oft und aufwendig. Kurt und Gertrud kommen von einer Schiffsreise nach Curaçao und Trinidad zurück, sie werden von sieben Enkelkindern empfangen, alle mit Kakao in Negerlein verwandelt, Baströckchen um die Hüften, dicke Ketten am Hals – die sehen aus, als wären veritable Kostümbildner am Werk gewesen. Wer macht das bloß alles? Sieben kleine Negerlein statt zehn? Kein Problem. Irgend jemand reimt drei weg:
10 kleine Negerlein in Südamerika
die sah’n das Motorschiff Heinz Horn
da schrieen sie hurra.
10 kleine Negerlein, die hatten alle zehn
noch keinen weißen Großvater
und Großmutter gesehn.
10 kleine Negerlein, die fingen an zu schrei’n
der eine schrie zu laut und platzt,
da waren’s nur noch neun.
9 kleine Negerlein, die machten Haifischjagd,
den einen fraß dann einer auf,
da waren’s nur noch acht.
8 kleine Negerlein, die stahl’n dem Schiffskoch Rüben,
eins ward erwischt und eingelocht,
da waren’s nur noch sieben.
Die sieben erzählen dann, singend natürlich, wie das so war auf der Schiffsreise, und zum Schluß heißt es: »Sieben kleine Negerlein, die weiße Leute lieben – nun möchten sie in Halberstadt – gern bleiben alle Sieben!« Das ist Spaß, nicht nur für die Kinder. Nach dem Krieg standen noch Aufführungskisten auf dem Dachboden in Halberstadt – ich sehe mich in einer Krinoline als die Prinzessin mit dem Schweinehirten.
Ein Riesenfest feiert Deutschland am 1. März 1935 – das Saarland kommt heim ins Reich nach 15 Jahren Völkerbund-Mandat und einer Volksabstimmung, bei der knapp 91 Prozent der Saarländer – tatsächlich freiwillig! – dafür votiert hatten. HG im Tagebuch: »Großer deutscher Sieg! Die Flaggen heraus!« Else beschreibt, wie das aussieht: »Wir haben das Haus illuminiert und waren alle abends beim Fackelzug. Ihr Kinder auch, es war ein ganz großer Eindruck, die großen Feuer auf dem Domplatz, und die Fackeln, die
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