Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
alle auf Kommando angesteckt wurden und die herrlich beleuchteten Kirchen und die patriotischen Lieder – das werden wir alle so leicht nicht vergessen!«
Um dieses erhebende Gefühl zu vertiefen, machen Else und HG mit den großen Töchtern und dem dänischen Au-pair-Mädchen eine Blitztour durch »unser schönes Vaterland«. Sie düsen da wirklich durch, ich habe den Verdacht, daß HG seinen neuen Mercedes ausprobieren will – »11/60«, wem das etwas sagt. Das ist ein Kabrio, wie ich auf den Filmaufnahmen sehen kann, aber warum man zu Ostern offen fahren muß, eingemummelt in Mützen, Plaids und Autobrillen, erschließt sich mir nicht. Was ich noch auf den Filmaufnahmen sehe: HG hat sich einen Schnurrbart zugelegt, ein richtiges Hitlerbärtchen unter der Nase. Das hält nicht lange vor, wie ich weiß, er versucht es halt mal. Er sieht zum Kotzen aus.
Sie lassen nichts aus – Marburg, Gießen, Frankfurt am Main, den Rhein entlang bis zum deutschen Eck, Mosel rauf, Trier, dann an die Saar und die neue deutsch-französische Grenze. Else: »Es waren wirklich sehr patriotische Gefühle, die uns beim Durchfahren bewegten, und unentwegt sangen wir ›Deutsch ist die Saar‹ und riefen ›Heil Hitler‹.« Nun ist auch noch Führers Geburtstag, und überall marschieren die Fackelzüge durch die Straßen – na bitte. Ich muß aufpassen, nicht ungerecht zu sein. Es ist doch klar, daß die sich freuen über die Rückkehr der Saar. Da ist eine Mauer gefallen nach 15 Jahren. Trotzdem – es nervt! Landau, Speyer, Heidelberg – Else blubbert, wer hier wo begraben liegt und wer dort was gebaut hat, erstes Reich, zweites Reich, das dritte kommt dann in Nürnberg.
Neben dem Parteitagsgelände, das noch im Bau ist, sind aber doch Adam Kraft, Veit Stoß, Peter Vischer der Ältere und der Jüngere dran, der ganze Nürnberger Skulpturen-Reichtum – was der Krieg wohl davon übriggelassen hat? HG fliegt zurück, Else und die Mädchen essen Dreifach-Portionen Rostbratwürstchen von Zinntellern und mogeln sich über den Thüringer Wald nach Hause. Sie sind 1738 km gefahren in einer Woche, »ohne Panne« – so was notiert HG. Else schreibt: »Wir haben ein großes Stück unseres wunder-wunderschönen Vaterlandes gesehen und danken herzlichst demjenigen, der uns das ermöglicht hat, nämlich Johannes Georg Klamroth.« Schreibt sie wirklich.
Sie sind Ostern unterwegs gewesen, das ist ungewöhnlich, denn Ostern ist auch ein familiäres Ritual. Am Karsamstag wird abends am Kamin der Osterspaziergang aus dem »Faust« gelesen mit verteilten Rollen. Die Legende geht, wer immer im Haus ist, Gäste, Personal, anderer Leute Chauffeure, ist verdonnert, den ersten, zweiten, dritten Handwerksburschen zu geben – da wäre ich aus schierem Spaß gern dabei gewesen. Wer darf Faust und wer den Pudel? Es werden Eier gemalt im Kinder-Kollektiv unter erbittertem Konkurrenzdruck um die Kreativität. Else schreibt in Barbaras Tagebuch, die Tochter habe gedibbert, daß bitte Großvater Kurt ihre Eier finden möge – »der ist der einzige hier, der etwas von Kunst versteht«.
Die Eier werden vor dem Frühstück gesucht in einem begrenzten Areal, damit man sie auch findet – sie sind roh, die Kunst verflüchtigt sich beim Kochen, wer will schon harte Eier, kalte auch noch. Nach dem Frühstück sind die Nester dran mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken, verteilt überall in dem Riesengarten. Bei mir liegt eine Aufstellung, wo Else, HG, Kurt und Gertrud die Verstecke notiert haben, 37 Nester und Kleinigkeiten: »grünes Nest, 4. Johannisbeerbusch von links, etwa Kniehöhe«, »Bilderbuch Sabine, Eimer Sandformen unten drin«. Trotzdem findet Else jedes Jahr wieder »verlorene Eier«, ein »völlig verregnetes Nest« im Garten, 1934 entdecken Jochen und sie ein Gelege der hauseigenen Zwerghühner mit 12 Eiern beim Oster-Suchen, »acht waren noch gut«.
Ich habe meine eigene Geschichte mit Ostereiern. 1945 spielt die, da hatte ich zum ersten Mal Eier für den Osterkranz ausgepustet und mit Scherenschnitt-Figuren beklebt. Der Osterkranz stand auf dem Eßtisch, meine hängenden Eier waren die schönsten, natürlich. Als das Inferno über Halberstadt hereinbrach am 8. April, das war der Sonntag nach Ostern, als dieser Großangriff 80 Prozent der Altstadt in Schutt und Asche legte, hielt das Haus stand, keiner starb. Aber der Kronleuchter über dem Eßtisch stürzte auf den Osterkranz und zerschlug meine Eier. Das Feuer hat meine Erinnerung
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