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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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bis zu diesem Tag verbrannt. Unter dem Schutt, in dem Entsetzen wurde alles begraben, was vorher war. Sechs Jahre sind weg, ich weiß nichts von mir. Mein Leben fängt an mit der Empörung über die Zerstörung meiner Ostereier. Der Kronleuchter, der sie zerdeppert hat, hängt heute in meinem Wohnzimmer.
    HG fühlt sich nicht unwohl mit den Nazis, doch er folgt ihnen nicht blind. Am 1. November 1934 stellt er den Juristen Dr. Hans Litten als Rechtsberater in der Firma ein, »Privatsekretär« ist sein offizieller Titel. Hans Litten ist ein Verwandter jenes bürgerlichen Anwalts Hans Litten, der im Rahmen der »Roten Hilfe« in den 20er Jahren Arbeiter und Kommunisten verteidigt und die rechtskonservative Justiz, vor allem die Nationalsozialisten das Fürchten gelehrt hatte. Sie sperrten diesen Hans Litten noch in der Nacht des Reichstagsbrandes im Februar 1933 ein, nach fünf Jahren grausamster Tortur nahm er sich 1938 im KZ Dachau das Leben. Heute, spät genug, werden Straßen nach ihm benannt, gibt es Festvorträge zu seinen Ehren.
    Der Hans Litten in Halberstadt hat wie der andere einen jüdischen Vater, er ist 24 Jahre alt, als er bei I. G. Klamroth anfängt, eine Karriere im Staatsdienst ist für ihn nicht mehr möglich. Er wird HGs engster Mitarbeiter und Vertrauter, stark gefährdet wegen seiner jüdischen Herkunft und vermutlich auch wegen seiner Namensgleichheit und Verwandtschaft mit dem »Staatsfeind« Hans Litten. HG gelingt es, »seinen« Hans Litten über diese Gefährdungen hinweg zu schützen über all die Jahre. So läßt er den Mitarbeiter kurz nach Kriegsbeginn »uk« stellen, »unabkömmlich« in der Firma, noch bevor »Mischlinge« in der Wehrmacht zunehmenden Repressalien ausgesetzt wurden. Ich finde die Littens häufiger in Elses Gästetagebuch, Hans Litten und seine nichtjüdische Frau Lotte hatten 1938 unter Umgehung der deutschen Vorschriften in London geheiratet. Erst nach HGs Verhaftung im Juli 1944 wird Hans Litten in das Zwangsarbeiter-Lager Burg bei Magdeburg verschleppt. Er überlebt und ist nach dem Krieg eine unschätzbare Hilfe für Else.
    1938 wird HG von Kollegen in Sachsen-Anhalt denunziert, die seine Konkurrenz fürchten, als er ein zusätzliches Betriebsbüro in Göttingen eröffnen will. Er mache nach wie vor Geschäfte mit einer jüdischen Firma, heißt es in den Briefen an die NSDAP – was stimmt. Die Firma Bachmann in Göttingen, seit 1873 Geschäftspartner von I. G. Klamroth, gerät zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die HG abfedert, indem er deren Kundschaft für Bachmanns Rechnung mit bedient. Die Partei in Halberstadt reagiert prompt: »Darin liegt ein schwerer Verstoß gegen die eindeutige Anordnung des Stellvertreters des Führers, nach der Parteigenossen mit Juden keine Geschäfte machen sollen. Ich beantrage daher, den Pg. Johann Georg Klamroth aus der Partei auszuschließen. Heil Hitler« – Unterschrift unleserlich. Die Sache geht aus wie das Hornberger Schießen.
    Nicht so die Angelegenheit B. Lämmerhirt Nachf. in Mattierzoll, Inhaber Dietrich Löwendorf. Das ist eine entsetzliche Geschichte – HG hat sie nicht verhindern können: ein Landhandel, mit dem die Firma I. G. Klamroth enge Geschäftsbeziehungen pflegt über lange Zeit. Mattierzoll liegt auf der halben Strecke zwischen Halberstadt und Wolfenbüttel, nach dem Krieg einen kurzen Steinwurf weit westlich der Zonengrenze. Ich finde in HGs Tagebüchern jedes Frühjahr Besuche dort, ausgedehnte Essen, Gegeneinladungen nach Halberstadt – gedeihliche Zusammenarbeit. Löwendorfs sind Juden, die Geschäfte gehen zusehends schlechter, der Druck wird immer stärker, und sie wollen verkaufen, am liebsten an HG. Davon versprechen sie sich, so lese ich das aus den Akten, daß sie von I. G. Klamroth am ehesten ihren Besitz zurückbekommen, sollten die Zeiten einmal besser werden.
    I. G. Klamroth will 1938 für 65 000 Mark kaufen, der Landrat von Wolfenbüttel erlaubt nur den Einheitswert von 39 900 Mark für Löwendorf, die Differenz von 25 100 Mark sei als »Ausgleichsabgabe« an das Reich zu entrichten. HG und Löwendorf protestieren gemeinsam – Löwendorf soll sein Geld haben. Nach drei Jahren mühsamer Auseinandersetzungen lenkt der Landrat ein, der Verkehrswert betrage tatsächlich 65 000 Mark, »so daß ein Entjudungsgewinn nicht festgestellt werden kann«. HG zahlt die volle Summe im Januar 1942, doch Löwendorf bekommt sein Geld nicht.
    Auf Anweisung des Oberfinanzpräsidenten in

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