Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Hannover geht die Zahlung auf ein »beschränkt verfügbares Sicherungskonto«, wovon Löwendorf im Februar 1942 die Steuer für den Verkauf seiner Grundstücke ( RM 9 149.95) und die »Reichsfluchtsteuer« (RM 11 250.–) überweist. Am 4. November 1942 gibt Dietrich Löwendorf der Commerzbank Braunschweig den Auftrag, »anläßlich meiner Wohnsitzverlegung nach Theresienstadt zur Erfüllung meines mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland abgeschlossenen Heim-Einkaufsvertrages« 46 500 Mark an jene ominöse Reichsvereinigung zu überweisen. Dietrich Löwendorf stirbt am 13. April 1943 in Theresienstadt.
Die Frage hat mich umgetrieben, ob die Filiale Mattierzoll der Firma I. G. Klamroth eine arisierte Latifundie war, oder ob HG sie ordentlich gekauft hat. Die Akten belegen, daß er sie regulär zu einem Preis an der oberen Grenze erworben hat – es gab ein Gesetz, das Nicht-Juden hindern sollte, jüdischen Verkäufern mit überhöhten Preisen aus ihren Schwierigkeiten zu helfen. HG hat sich mehrfach mit den Behörden angelegt, weil die Genehmigung für den Verkauf sich hinzog, bis Dietrich »Israel« Löwendorf kein Ausweg mehr blieb nach Palästina. Daß der alte Herr aus Mattierzoll über sein Geld nur verfügen konnte, um Steuern zu zahlen und sich in Theresienstadt in ein »Heim« einzukaufen, hat HG nicht beeinflussen können. Ich wüßte gern, ob er von dieser Tragödie überhaupt erfahren hat. HGs Tagebücher aus der Zeit hat die Gestapo mitgenommen. Die Quittung darüber habe ich hier.
Die Akten – das sind die Unterlagen über die Wiedergutmachungs-Forderung der Erben Löwendorf nach dem Krieg. Gemäß einer Anordnung der britischen Militärregierung über die Rückerstattung jüdischen Vermögens vom November 1947 hatten sie Anspruch erhoben wegen »ungerechtfertigt entzogener Vermögenswerte«. Das Kriterium für »ungerechtfertigt« in diesem Fall war, daß der »Veräußerer« zwar einen angemessenen Verkaufspreis erhalten hat, aber »über ihn nicht frei verfügen konnte«. Die Erben Löwendorf hatten keinen Anlaß, auf Geld, das ihnen zustand, zu verzichten – sie hatten genug verloren. Daß es den Falschen traf, nämlich die nach 1945 dahinsiechende Firma I. G. Klamroth, die seinerzeit ordnungsgemäß gezahlt und mit der fehlenden »Verfügbarkeit« des Geldes nichts zu tun hatte, wer will darüber lamentieren? 12 Jahre lang hatte es in den Juden immer die Falschen getroffen.
Else allerdings hat die Geschichte fast umgebracht. Sie war 1948 nach Mattierzoll gegangen in der Hoffnung, im Westen die Firma I. G. Klamroth in HGs Sinne neu beleben zu können. Das lief sowieso nicht – so dicht an der Grenze fehlte dem kleinen Betrieb das Hinterland, die allgemeine Geldknappheit nach der Währungsreform tat ein übriges, und jetzt dies. Nach einem Vergleich mit den Erben Löwendorf hat sie 42 500.– DM – das war nach der Währungsreform – gezahlt, zwei Drittel des Kaufpreises in Reichsmark. Die Firma I. G. Klamroth in Mattierzoll ging darüber in Konkurs. Ende der 60er Jahre trat in der Bundesrepublik das Reparationsschäden-Gesetz in Kraft, das Else einen Lastenausgleich von 29 105.50 DM inklusive Zinsen gewährte. Damals aber hat sie nicht gewußt, wie sie ihre Kinder ernähren sollte.
Diese Sorge hat Else vor dem Krieg noch nicht. 1936 sind die drei großen Kinder 13, 12 und elf Jahre alt und voll in der Hitlerjugend beschäftigt. Der Samstag, jeder Samstag ist »Staatsjugendtag«, da ist keine Schule, sondern HJ-Arbeit Pflicht. Ursula bringt es in ihrer BDM-Karriere später bis zur Ringführerin, da ist sie zuständig für 600 Mädchen, und HG schüttet sich aus vor Lachen, wenn seine pummelige, mit Zahnklammern bewehrte Tochter ihre Truppen auf dem Bismarckplatz antreten läßt. Immerzu Zeltlager, Schulungslager, Wochenendlager, Trainingslager – jedes HJ-Lager steht unter dem Motto: »Wir sind geboren, für Deutschland zu sterben«. Das HJ-Lied geht so: »Nun laßt die Fahnen fliegen in das große Morgenrot, das uns zu neuen Siegen leuchtet oder brennt zum Tod«.
Else stört dieser Sieg- und Totentanz offenbar nicht. Ich finde eine Notiz an die Tochter Barbara vom Januar 1936, da geht es um irgendwelche Klamotten-Probleme: »Siehst Du, was habe ich Dir gesagt wegen der schwarzen BDM-Jacken? Wo sollte wohl die Einheitlichkeit, die Gemeinschaft und die Unterordnung unter eine große Idee der Gemeinsamkeit hin, wenn jede kleine Jungmädelgruppe ihren eigenen Salat
Weitere Kostenlose Bücher