Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
finde ich in ihren Tagebüchern nach dem Krieg Hinweise darauf, wie er sie verletzt hat. Ich denke mal, Else liebt HG – das ist ein Grund. Und die Kinder hängen mit zärtlicher Bewunderung an ihrem Vater. Soll sie denen erklären, daß die sich ein falsches Bild machen? Der dritte Punkt, gleichwertig, ist ihr Stolz. Sie will nicht zugeben, daß ihr Mann ein Dreckskerl ist, sie ist in ihrem Selbstbewußtsein so beschädigt, daß sie HG nicht bloßstellen kann ohne einzuräumen, wie sie gedemütigt wird. Außerdem – machen wir uns nichts vor: Damals wie heute sind die rumvögelnden Männer die tollen Hechte und die Frauen die armen Hascherl. Diese Rolle hätte Else nicht ertragen.
HG bringt wenigstens zwei seiner Damen mit nach Hause, die sitzen abends am Kamin, er »pütschert« Marken, die Konkubine und Else kleben Fotos ein – einmal steht tatsächlich im Tagebuch: »Zuhause sind jetzt vier Frauen für mich da« – Else, die dänische Haustochter, eine abgelegte und eine neue Freundin. Else wahrt den Schein, oder was sie dafür hält – Hinz und Kunz müssen wissen, was bei denen gespielt wird. HG hat schließlich drei von Elses angeblich besten Freundinnen durch sein Bett gezogen, und er schreibt das auch noch auf wie seine pingeligen Zugabfahrten.
Mich ungefragt zu Elses Anwältin aufzuschwingen, ist grenzüberschreitend, ich weiß. Sie wird ihre Gründe gehabt haben, als sie ihre Aufzeichnungen vernichtete. Trotzdem, Mutter: Dein Mann ist mein Vater, und ich muß ihn mir erklären – ohne schönen Schein. Der manifestiert sich in immerhin drei Kindern: Sabine, dem verlorenen Baby und mir. Seht her, Leute, die Ehe existiert, wir machen Kinder! 1943 schreibt Else in einem Brief an HG, die beiden Kleinen – also Sabine und ich – wären nicht geboren worden, hätte sie gewußt, daß das Elend ungebrochen weitergeht. Ich denke aber, Else hat HG auch mit den kleinen Kindern festhalten wollen – HG: »meine ganze Wonne ist Sabine!« Daß er den Kleinkind-Spaß mit mir nicht mehr haben würde, weil er fort war im Krieg, konnte sie nicht voraussehen.
Else ist im Mai 1935 in die NS-Frauenschaft eingetreten – ich weiß nicht, ob sie sich dem hätte verweigern können als prominente Ehefrau eines Parteigenossen in Halberstadt. Zumal der sich von der Partei-Arbeit völlig entfernt hat, seit er als Soldat wieder ständig zu Truppenübungen herangezogen wird. Daß sie allerdings im Frühjahr 1938 zur Ortsgruppenführerin ernannt wird, paßt ihr nicht. Else im Kindertagebuch: »Ich finde nicht, daß ich es ausschlagen kann, auf der anderen Seite weiß ich nicht, wie ich es schaffen soll. Es bringt dann auch eine Menge Arbeit mit sich, und mir geht es immer schlechter.« Else, inzwischen 39, ist wieder schwanger. Diesmal bin ich dran. Ihren Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1937 hat sie nirgends vermerkt, das Datum ist kein Zufall, ab jetzt ist die Partei wieder offen für neue Genossen, nachdem am 1. Mai 1933 eine Mitgliedersperre verhängt worden war. Wahrscheinlich steht Else schon seit langer Zeit auf der Warteliste. Warum sie das macht, kann ich nur ahnen. Zwingend notwendig für Mitglieder der NS-Frauenschaft war es nicht, die meisten der 2.3 Millionen dort organisierten Frauen waren nicht in der Partei. Wahrscheinlich fühlt Else sich geadelt.
Olympia 1936 muß erzählt werden. Da fahren sie alle hin, Barbara, jetzt 13, hat sich die Leichtathletik-Dauerkarte für 30 Mark ein Jahr lang vom Munde abgespart und ist die ganze Zeit über in Berlin. In ihren Briefen nach Hause ist die wichtigste Frage, ob sie den Führer gesehen hat oder nicht. Es gelingt HG, sein schwieriges Pferd »Lützow« an jemanden aus der Olympia-Equipe zu verkaufen, der das Tier seit ein paar Monaten in Pension hat. Daraufhin lädt er die Familie in den »Kaiserhof« zum Essen ein, die Kinder trinken auch Champagner, und sie schreiben eine Karte an Kurt und Gertrud: »Es ist ein erhebendes Gefühl, Gastgeber der ganzen Welt zu sein. Dem Führer sei Dank.«
Kurt und HG organisieren den ersten großen Harzritt – 48 Reiter ziehen drei Tage durchs Gelände. Das ist eine komplizierte Logistik mit Unterkünften für Menschen und Pferde, Picknicks auf abgemähten Koppeln, Sprungstrecken, Geschwindigkeitsprüfungen, Tier- und Menschenärzten, Linienrichtern, Gepäcktransport – Kurt kramt seine Erfahrung aus Kolonnenzeiten im Ersten Weltkrieg wieder hervor und ist wochenlang bei der Vorbereitung in seinem Element. Else hat
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