Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
ein ganz alttestamentarischer Name ist. Aber da Du einen so fabelhaften Langschädel hast, Du siehst wirklich so arisch aus, ging Susanne nicht. Vater wollte eine I. G.-Kombination, das wollte ich nicht. Also Wibke – nach sichtlichem Widerstreben von Vater. Aber Du bist ein so nordisches Kind.« Sage ich doch: Der Führer hätte seine helle Freude an mir gehabt, blond, hellhäutig, hoch gewachsen, exzellentes Zuchtmaterial – ach Else!
Sie hat ein strapaziöses Wochenbett – das gibt es nicht mehr heute. Damals blieb die »Wöchnerin«, die sich das leisten konnte, tatsächlich sechs Wochen nach einer Entbindung im Bett. Das kann nicht gesund gewesen sein, kennzeichnet aber die Bewertung einer Schwangerschaft als »Krankheit«. Diesmal ist Else viel zu nervös, denn im September 1938 steht Europa am Rande eines Krieges. Nach Österreich greift Hitler sich das Sudetenland, das sind dramatische Zeiten, die im Münchner Abkommen gipfeln und im März 1939 in der Umwandlung der »Rest-Tschechei« in das »Protektorat Böhmen und Mähren«. Die Tschechoslowakei hatte Bündnisverträge mit der Sowjetunion und Frankreich, England hätte Frankreich unterstützen müssen in einem Krieg, aber keiner hatte Lust auf einen Krieg, auch die Deutschen nicht. Von Hitler ist überliefert, daß er seine mäßig interessierten Landsleute im September 1938 bei einer Militärparade beobachtet und festgestellt habe: »Mit diesem Volk kann ich noch keinen Krieg führen.«
Um so größer ist der Jubel, als der britische Premier Chamberlain, der französische Ministerpräsident Daladier, Mussolini und Hitler am 29. September in München den Frieden retten auf Kosten der Tschechoslowakei. Die muß das Sudetenland räumen und zwar sofort. Daß der Krieg nur hinausgeschoben ist, denkt damals keiner, zumal Hitler und Chamberlain am nächsten Tag eine feierliche Erklärung abgeben, ihre beiden Völker würden niemals mehr gegeneinander Krieg führen. Else spricht im Kindertagebuch den meisten Deutschen aus der Seele: »Hitler hat einen ungeheuren Sieg errungen ohne einen anderen Kampf als den der Nerven, es war aufreibend, ja, aber es hat sich auch gelohnt. Wer kein Risiko läuft, hat auf dieser Welt noch nie etwas gewonnen. Der Glaube und die Bewunderung an und für unseren großen Führer hat sich noch verstärkt und vertieft, und doch hatte ich geglaubt, daß das nicht mehr möglich sei.«
Heller Zorn aber erfaßt Else nach dem Pogrom vom 9. November, der sogenannten Reichskristallnacht: »Synagogen werden angesteckt, die Geschäfte und Wohnungen von Juden völlig zerstört, wir hausen schlimmer als die Hunnen, man schämt sich, ein Deutscher zu sein, und das Ganze wird auch noch als spontane Handlung hingestellt, spontan in einem so straff durchorganisierten Land wie Deutschland!! Es ist eine Schande, und das feindliche Ausland sagt mit Recht, sie brauchten sich gar keine Propaganda gegen uns auszudenken, wir lieferten ihnen besseres Material selbst als sie sich ausdenken könnten. Es war so deprimierend, und die Erinnerung daran ist es noch immer. Es gab aber auch eine allgemeine Empörung in Deutschland selber. Das sind feige und unwürdige Kampfmethoden, unwürdig einer kulturell hochstehenden Nation. Ihr jungen Kinder seid aber genau so empört gewesen wie wir.«
Else schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und es hieße, die Beckmesserei zu weit treiben, wenn ich sie frage, warum in ihrer Philippika kein Wort des Mitgefühls mit den betroffenen Juden auftaucht. Sie ist eine warmherzige Person, und ich will mir nicht denken, daß das Entsetzen über das Schicksal anderer sie nicht erreicht. Aber daß es ihr zunächst um die Ehre der Deutschen geht, die hier von Deutschen besudelt wurde, ist auch klar. Sie schreibt weiter: »Ihr könnt Euch wohl denken, wie peinlich mir das gegenüber Marylee war, es war schrecklich.« Marylee ist das englische Au-pair-Mädchen. Hunderte Synagogen und Tausende jüdische Geschäfte wurden zerstört, 91 Juden getötet, die Selbstmorde sind nicht gezählt. Anlaß war der Mord an dem Attaché der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, durch den polnischen Juden Herschel Grynszpan.
Etwa 30 000 Juden verschwinden in Konzentrationslagern. Der jüdischen Gemeinschaft insgesamt wird als »Sühne für den gemeinen Mord« eine kollektive Sondersteuer von 1 Milliarde Reichsmark auferlegt, den Schaden an ihrem Eigentum müssen sie selbst bezahlen. Juden sind von den Universitäten zu entfernen,
Weitere Kostenlose Bücher