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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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machen wollte?! Ihr Führerinnen müßt dafür sorgen, daß das Gemeinsame mit dem großen BDM herausgeholt wird und nicht das Trennende.« So spricht Else, die Frau mit der betonten Eigenständigkeit, die »immer unimponiert« sein wollte. Sütterlin hat sie übrigens aufgegeben, wenigstens ist sie in ihrer Handschrift wieder sie selbst.
    Sie hat eine Fehlgeburt im Juni 1936, und zum ersten Mal erwähnt sie das in den Kindertagebüchern. Warum läßt sie sich auf so viel Zweisamkeit ein? HG notiert jetzt häufig »schwere Krise mit Else«, »betrübliche Auseinandersetzung mit E.«, »sehr niedergedrückt wegen eines Briefes von Else an mich«, »tiefgehende Differenz mit Else«. Im Januar 1936 aber schreibt er: »Nachm. auf der einsamen Insel, Entschluß zu Wandlungen« – dann könnte das verlorene Baby ein Versöhnungskind gewesen sein. Doch HGs Vorsätze sind in den Wind geschrieben, ein paar Wochen später taucht wieder eine seiner Gespielinnen auf. Was finden Frauen an ihm?
    Ich betrachte die Fotos von ihm, und da fällt mir nicht viel ein. HG ist mittelgroß, er hat wenig Haare auf dem Kopf wie alle Männer in der Familie, schlank ist er, nun ja – damals waren die Leute nicht so fett wie heute. Seine Zähne sind nicht toll, die Akne scheint verschwunden zu sein, die Hände sind ganz schön, Klavierspieler-Hände. Also? »Der hat ein geheimes Glockenspiel«, hieß das in meinem Freundeskreis, wenn wir einen Allerweltstypen bestaunten, dem die Frauen zuflogen. Wo ist HGs Glockenspiel? Jeder, den ich noch fragen konnte, hat mir von HGs Charme vorgeschwärmt und von seiner Zugewandtheit, der »Konzentration auf sein Gegenüber«. Gregers Hovmand, der geliebte Dänen-Vetter, sprach von HGs »Intensität«, und die muß bestrickend gewesen sein. Wenn ein Mann einer Frau das Gefühl gibt, sie sei die Königin – wer läßt sich nicht gern darauf ein? Vielleicht ist auch die Unverbindlichkeit ein Grund. HGs Damen sind, soweit ich das übersehe, alle verheiratet, haben Kinder, er ist das Sahnehäubchen in deren Alltag, zusätzlicher Luxus, geklautes Glück, das nicht mit Problemen und Konsequenzen belastet werden muß.
    Dafür steht HG auch nicht zur Verfügung. Er zieht ja nicht über die Dörfer, weil er Else satt hat und sein Leben ändern will. Er will zu Hause alles so lassen, wie es ist: seine außergewöhnliche Frau, seine entzückenden Kinder, seine Position in Halberstadt, seine Firma, seine Pferde, seine Autos, seine Freunde, sein offenes Haus. Und das andere will er auch. Für mich ist HG nicht erwachsen. Ich sehe den direkten Weg, der beginnt bei seiner »abnormen, quälenden Schüchternheit als Kind«, gegen die er später anprahlt mit seinem verquasten Schreibstil und seinen intellektuellen Exerzitien. Das setzt sich fort in seiner unendlichen Korrespondenz, mit der HG sein Netz knüpft, um nicht ins Bodenlose zu stürzen. Seine Lügengeschichten braucht er, weil er sich selbst nicht traut, und die vielen Frauen, die er konsumiert wie Drogen, müssen ihm eine nach der anderen bestätigen, daß er besser ist, als er selber glaubt.
    Rollenspiele, geborgte Identitäten – wo und wann ist er sich abhanden gekommen? Ja, es hat »Haue« gegeben für das Kind, und er hat von klein auf Erwartungshaltungen entsprechen müssen. Müssen? Wollen? Geht uns das nicht allen so, wenn wir hineinwachsen in ein Umfeld, das anders nun mal nicht ist? HG ist nicht gequält worden, im Gegenteil. Kurt war ein wunderbarer Vater. Ist es das? Daß der Sohn sich neben seinem klugen Vater klein fühlte, weil der die Antworten hatte, nach denen der Sohn suchte?
    HG hat die Firma vorangetrieben, auch gegen die Beharrungstendenzen von Kurt. Das haben alle Firmen-Erben der Familie so gemacht. Trotzdem scheint er zu befürchten, er sei nicht gut genug. HGs pathologische Arbeitswut ist gekoppelt mit ständiger Müdigkeit. Wenn HG schläft, dann wird »eisern gepennt« – auch das eine Aufgabe. Dann sind da seine hysterischen Ängste, wenn die Firma in Turbulenzen geriet. Kurt war in der Hinsicht viel entspannter. HGs Pedanterie – Zugabfahrten! – und seine Leidenschaft für die geordnete Welt des Militärs, seine Selbstzweifel in bezug auf den Schützen Vitt, die ständige Beweisnot, in die der Mann sich verstrickt – ich denke, die Damen sind seine Form der Auflehnung, HGs Ventil.
    Warum kegelt Else ihn nicht raus? Ich muß spekulieren, denn ihre Aufzeichnungen aus der Zeit mit HG hat sie zerstört. Nur gelegentlich

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