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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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jüdische Kinder dürfen keine »deutschen« Schulen mehr besuchen, Kinos, Theater, Museen, Konzerte sind für Juden verboten, Führerscheine und Telefone werden ihnen entzogen. Sie dürfen keine eigenen Geschäfte oder Handwerksbetriebe mehr betreiben, jüdische Betriebsführer und leitende Angestellte sind zu entlassen ohne Zahlung von Abfindungen oder Versorgungsansprüchen. Laut Volkszählung im Mai 1939 leben im »Altreich« 233 973 Juden.
    Nach München glauben die meisten Deutschen wahrscheinlich, das könne immer so weitergehen: Hitler schnipst mit den Fingern, und die anderen legen ihm die Territorien zu Füßen. Deshalb wird das im Lauf des Jahres 1939 lauter werdende Säbelrasseln im Hinblick auf Danzig auch nicht als Vorbereitung zum Krieg gedeutet, zumal Hitler sich seit sechs Jahren als der Friedensbewahrer schlechthin darstellt. HG und Else aber lesen die »Times« und die dänische »Berlingske Tidende«, und sie sind sich sicher, daß Krieg kommen wird.
    Else: »Das halbe Jahr vorher war ich schon so in Angst und Sorge, daß ich ganz krank war. Hätten wir nicht die ausländischen Zeitungen, hätte ich dieses halbe Jahr noch richtig genießen können wie alle anderen.« Ihrer Haustochter Gilberte Rigo aus Marseille rät der französische Generalkonsul in Leipzig dringend, Deutschland zu verlassen, das tut sie weinend am 23. August. HG ist schon seit Juli in Manövern an der polnischen Grenze zugange, er bekommt die Einberufung für den Ernstfall am 25. August. Zwei Tage vorher hatte Hitler zur Verblüffung der Weltöffentlichkeit mit dem eben noch gehaßten Land des »jüdischen Bolschewismus« den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unterschrieben.

    HG 1942 in Russland

E LF
    HG, K OMPANIEFÜHRER BEIM Infanterie Regiment Nr.12, schreibt am Vorabend des Krieges, am 31. August 1939 von der polnischen Grenze: »Liebe Else, an diese Stunden gestern, heute und morgen werde ich, wenn ich sie überlebe, sicherlich bis an meinen Tod denken. Mit dramatischer Steigerung und unausweichbarer Wucht schreitet das Schicksal auf uns zu und über uns Einzelmenschen hinweg – wie klein sind wir! Ob der morgige Abend mich noch lebend findet, was macht das eigentlich aus? Es wäre schade, wenn es mich träfe, und traurig für Dich und die Kinder – aber was sind wir alle vor dem großen Schicksal?« Das Schicksal hat einen Namen, den nennt HG nicht – ob er weiß, wer diesen Krieg lostritt?
    Am 4. September 1939: »Ihr Lieben, alles ist in prima Ordnung – seit Tagen reiten wir ganz vorn in Riesenmärschen – der Polack läuft wie dumm vor uns her, hat keine Artillerie und keine Flieger, Verluste bei uns ganz gering, unsere Flieger und Panzer sind großartig – alles brennt vor uns, nachts ein schaurig imposanter Anblick! Aus der Heimat wissen wir wenig, denn die Radio-Nachrichten sind doch man dürftig. Was ist mit England und Frankreich? Greifen die uns an? Und was macht Italien? Schickt Zeitungen, die Berlingske« – das ist die dänische Zeitung – »am besten in verschlossenem Umschlag. Eben 90 eigene Flieger über uns: Ein herrliches Gefühl! Ich sehne mich so nach Euch, darf mir aber dessen nicht bewußt werden. Grüßt Wibke und Sabine besonders!« Daß England und Frankreich am Tag zuvor schon Deutschland den Krieg erklärt haben, erfahren die Truppen in Polen nicht, auch nicht das Stillhalten Italiens, das seinen Bündnisverpflichtungen mit Deutschland nicht nachkommt.
    In Halberstadt erfahren sie nichts von HG in Polen, es herrscht Postsperre, und seine Briefe kommen erst später an. Sie spüren den Krieg von Anfang an. Die Verdunkelung hüllt Städte, Fabriken, Bahnhöfe, Züge ab der ersten Woche in schwarze Nacht, am Bismarckplatz rücken schon am 3. September Flüchtlinge ein, Evakuierte aus dem Saarland. Bei Else sind es fünf, bei Kurt und Gertrud acht – arme Gertrud, sie erlebt diese Strapazen, den Hunger, die Kohlennot nun zum zweiten Mal, Else war im Ersten Weltkrieg ein junges Mädchen. Dagmar Podeus hat in ihrer Wohnung drei Menschen als Einquartierung, Else muß täglich für zusätzlich 16 Personen Essen beschaffen. Noch geht das, weil alle Lebensmittelkarten mitbringen, aber ich mag mir nicht vorstellen, wie eng das ist, wie die Wäsche bewältigt und Streit vermieden wird. Die Saarländer werden bis nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 am Bismarckplatz bleiben.
    Die Autos werden stillgelegt, es gibt kein Benzin mehr, später werden auch diese zu Kriegszwecken

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