Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
übrigens nach wie vor dafür, außer daß er jetzt wieder vom OKW eingefangen ist. Für Vater ist es bestimmt nicht einfach, er kann natürlich die Dänen gut verstehen und ist als ›Beschützer‹ ihnen gegenüber in einer peinlichen Stellung. Aber die meisten unserer Freunde helfen ihm darüber hinweg.« Kirsten an Else: »Es ist doch nicht zu glauben, daß wir uns nicht gewehrt haben!!« Else an Kirsten: »Willst Du Dich gegenüber einem Erdbeben wehren?«
HG an Barbara:
Ein Mensch, der auszog in den Krieg,
um zu erkämpfen Deutschlands Sieg,
der findet sich zu seinem Staunen
durch eine von des Kriegsgotts Launen
inmitten lauter weichen Pfühlen
höchst komfortabel, und kann wühlen
in Kaffee, Tabak, Fett und Früchten
und dies begeistert ihn zum Dichten.
Am 10. Mai 1940 beginnt die Westoffensive, Deutschland überfällt die neutralen Länder Holland, Belgien, Luxemburg. Holland kapituliert am 14. Mai, Belgien am 28. Mai. Um die Heimatfront auf den Kampf gegen Frankreich einzustimmen, befiehlt Hitler am 5. Juni »von heute ab in ganz Deutschland für die Dauer von acht Tagen zu flaggen. Es soll dies eine Ehrenbezeugung für unsere Soldaten sein. Ich befehle weiter für die Dauer von drei Tagen das Läuten der Glocken. Ihr Klang möge sich mit den Gebeten vereinen, mit denen das deutsche Volk seine Söhne von jetzt ab wieder begleiten soll.« Über dieses Spektakel steht nichts in Elses Kindertagebüchern.
Der Waffenstillstand mit Frankreich wird am 22. Juni im Wald von Compiègne in jenem Salonwagen unterzeichnet, wo am 11. November 1918 der »schmähliche« Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und den alliierten Siegermächten abgeschlossen wurde. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1940 tritt er in Kraft, Else beschreibt im Kindertagebuch, wie sie das ganze Haus geweckt habe, damit jeder im Radio mithören konnte, wie »das Ganze Halt!« geblasen wurde – »das waren große, dankbare Stunden«.
Zum Teufel mit den deutschen Siegen! In beiden Kriegen haben sie nichts als Elend über uns und andere gebracht. Doch wenn schon Krieg – kann man es Else verdenken, daß sie sich die Nacht am Radio um die Ohren schlägt? Fast täglich erfährt sie, daß die »ganz geringen deutschen Verluste« Namen und Gesichter haben, eine Halberstädter Fliegerstaffel geht im Luftkrieg gegen England komplett verloren. Vor ein paar Monaten noch haben die jungen Männer am Bismarckplatz ein vergnügtes Tanzfest gefeiert – Else an Barbara: »Sie waren doch so zuversichtlich und so überzeugt von ihrer Unbesiegbarkeit!« Daß HG in Dänemark »im wahrsten Sinne des Wortes weit vom Schuß sitzt«, ist für Else eine große Beruhigung, zumal sie ihn bei seinen dienstlichen Stippvisiten in Berlin zwischendurch mal sehen kann und ihn zweimal, im Juni 1940 und im September 1941, für Ferien in Dänemark besucht.
Die beiden haben endlich wieder eine gute Phase miteinander. HG schreibt in den wenigen erhaltenen Briefen aus Kopenhagen voller Sehnsucht und Zärtlichkeit an Else, auf dänisch, was die deutsche Zensur vermutlich auch in Dänemark nicht lesen kann: »Sei umarmt, du süßeste Frau der Welt, und verlaß Dich drauf, daß Du die einzige für mich bist und bleiben wirst, jetzt wo alles überstanden ist: Was bin ich glücklich, daß wir darüber geredet und jedenfalls, was mich betrifft, alles bereinigt haben. Es gibt ja wahrhaftig viele Frauen hier, die eine Sünde wert sind – aber ach nein, Geliebte, darüber sollst Du überhaupt nicht nachdenken.« Else traut dem Frieden nicht ganz – wo immer HG das Zusammentreffen mit einer Frau erwähnt, die besonders gut aussieht, setzt Else einen dicken Bleistiftbalken an den Rand. Selbst seine Schwärmerei für die »wunderschöne Greta Garbo« in dem Film »Ninotschka« – »ich habe mich restlos in sie verliebt, worüber Du hoffentlich nicht böse bist!« – wird von Else mit grimmiger Hand markiert. Was ist sie beschädigt, und wie schwer ist das zu heilen!
HG hingegen ist unbekümmert: »Ich vermisse Dich unendlich, um so mehr als ich im Augenblick so unendlich gesund bin und das dringende Bedürfnis habe… na ja, das kannst Du Dir wahrscheinlich denken.« Zum 20. Jahrestag ihrer Verlobung, am 19. Januar 1941, schickt HG aus Dänemark ein Gedicht an Else – das hat sie nicht vernichtet:
Inmitten all der unruhvollen Zeit
Laß uns den Blick zusammen rückwärts wenden:
Wie liegt doch jener Wintertag so weit,
An dem wir uns einst nahmen bei den Händen
Und
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