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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Richtung zu bemühen, sie hätte zudem nicht ausgereicht, sich solche Monstrositäten vorzustellen. Für Else und HG, für die meisten Deutschen war der Staat »sauber«, Ehre war Trumpf. Wie in einer religiösen Gemeinschaft galt die Devise: einer für alle, alle für einen, jeder ist Teil des stolzen Ganzen.
    Else war »gläubig«, wie mir unlängst einer der Dänen erzählte, der ab 1941 ein Jahr lang bei I. G. Klamroth als Volontär war und am Bismarckplatz wohnte. HG kam ein halbes Jahr nach dem Polenfeldzug zur Abwehr, und der alte Dänenherr, damals 22, sagt, HG sei liebenswürdig, zugewandt, trotzdem »irgendwie undurchsichtig« gewesen, über Politik habe man nicht mit ihm reden können. Wenn Else jeden, der Ohren hatte, um das Radio versammelte bei Hitlers Reden, habe HG Klavier gespielt oder sich über seine Firmenpapiere gebeugt. Die haben den Soldaten genügend beschäftigt bei den spärlichen Urlauben zu Hause. Daß Else das Mutterkreuz bekam, sei für HG Anlaß zu ständigen Witzeleien gewesen. Else habe ein bißchen beleidigt reagiert, denn sie war stolz auf dieses Kreuz, aber im Grunde habe sie ihre Auszeichnung als »Zuchtstute« auch eher komisch gefunden.
    »Im Westen nichts Neues« überschreibt HG seine Briefe aus der westfälischen Warteschleife, wahrscheinlich wissen weder er noch die Zensoren, daß Remarques berühmtes Buch auf dem Scheiterhaufen der Bücherverbrennung gelandet ist. In der Sache hat HG recht, außer leichten Grenzscharmützeln tut sich nichts mit den Kriegsgegnern im Westen. Diese Wochen sind angefüllt mit »nervenzerrüttendem Warten«, wie Else schreibt. HG ist extrem schlecht gelaunt, er wird dringend in der Firma gebraucht, und zu Hause lernt seine kleinste Tochter ohne ihn das Laufen. Am 5. Februar 1940 erreicht ihn der Versetzungsbefehl ins Oberkommando der Wehrmacht nach Berlin »zur besonderen Verwendung«.
    Sie schicken ihn nach Kopenhagen – und zwar als Zivilist in seiner Eigenschaft als Getreide-Kaufmann. Am 21. März kommt er an. Über Sinn und Inhalt dieses Auftrags kann einer spekulieren. Die Vorbereitungen zum Unternehmen »Weserübung«, der Besetzung Norwegens und Dänemarks durch deutsche Truppen, laufen seit Januar 1940. Am 9. April wird Dänemark kampflos eingenommen und Norwegen angegriffen, dort kommen die deutschen Truppen einer britischen Invasion um wenige Tage zuvor. Es wird gegen Briten und Norweger gekämpft, am 13. Juni ist die »Weserübung« abgeschlossen. Warum also soll HG knapp drei Wochen vor Einmarsch der deutschen Truppen in Dänemark Saatgut-Verhandlungen führen? Er muß einen anderen Auftrag gehabt haben.
    Vermutlich ist das so. HG kennt Hinz und Kunz in Dänemark, I. G. Klamroth macht seit Jahren Geschäfte mit dänischen Partnern, HG spricht die Landessprache. Ich habe die dänischen Saatgut-Firmen abgeklappert, über die HG nach Hause schreibt, und ich habe den Mitarbeiter eines damaligen Firmeninhabers von »Hertz Frökompagni« gefunden – »Frø« ist Saatgut. Der alte Herr erinnert sich, es sei sehr professionell um ein Geschäft gegangen, das HG in Gang setzen sollte. Das war die Gründung eines »Dansk Frø-Exportkontor«, eines dänischen Saatgut-Export-Kontors, das an die deutsche Saatgutstelle, Mommsenstraße 71 in Berlin-Charlottenburg, »erhebliche Saatenmengen liefern soll, die Bezahlung soll in deutschem Stickstoff-Dünger erfolgen« – so schreibt HG.
    Schreibt man das am 8. April an seine Frau, wenn man am nächsten Tag sein Gastland überfallen will? Doch, das tut einer, wenn er einen derart clandestinen Auftrag hat, daß niemand, und die geschwätzige eigene Frau schon gar nicht, darüber informiert werden kann. Es ist wohl so, daß die deutsche Abwehr um ortskundige, sprachgewandte Agenten in Dänemark verlegen ist, weil sie von der strikten Neutralität des Landes im Konfliktfall ausgegangen war. Jetzt steht eine Landung der Briten in Norwegen unmittelbar bevor, das hätte eine britische Besetzung Dänemarks möglicherweise nach sich gezogen und eine strategische Veränderung im gesamten Ostsee-Raum bewirkt – Eile tut also not. Irgendwer muß HG empfohlen haben. Die Berufung ins OKW zur besonderen Verwendung hat ihn mit Sicherheit überrascht.
    Vor seinem dänischen Einsatz bleiben HG sechs Wochen Zeit in Berlin, sich in seine neuen Aufgaben einzuarbeiten. Mir erscheint das schwindelerregend, aber der Mann ist offenbar begabt. Sonst wäre er in der Abwehrstelle Kopenhagen später nicht mit Aufgaben der

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