Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Gegenspionage betraut worden, der III F, einer deutlich elitären Truppe. Daß er eine Reise nach Schweden plant, spricht für seine Begabung, mit Saatgut ist da nichts, aber dort tummeln sich die Geheimdienste dieser Gegend, natürlich auch der Briten. HG hat diese Reise nicht mehr angetreten, weil die Besetzung schneller erfolgte, aber er hat sich später mehrfach dort umgetan. Seine Tarnung in Dänemark in diesen Wochen ist perfekt bis hin zu den Briefbögen mit dem Kopf »Deutsche Saatgutstelle«, die er für seine Post nach Halberstadt und auch anderswohin verwendet.
Mich treibt etwas anderes um: Da mutet dir jemand zu, bei der Besetzung eines Landes mitzuwirken, in dem du seit 18 Jahren zu Hause bist. Du sollst deinen Freunden, deiner angeheirateten Familie, den vielen Bekannten aus der dänischen Society in der Uniform des Besatzers gegenübertreten, deutlich erkennbar als der Aggressor, als ein Mann, der die Gefühle der geliebten Menschen tief verletzt. Der seine Frau desavouiert, seine angebetete Schwiegermutter ins Unrecht setzt, der die jahrzehntelange Gastfreundschaft im nachhinein verrät. Kann man das ablehnen? Kann man sagen, ich mache das nicht?
Es war ein militärischer Befehl, der HG nach Dänemark beordert hat, und ich weiß nicht, ob er den hätte verweigern können. Unsereins kann heute schwer mit Befehlen umgehen, wenn sie der eigenen Überzeugung zuwiderlaufen. Ich weiß aber nicht, ob dieser Befehl HG zuwidergelaufen ist. Tatsächlich hat es sich als Glücksfall erwiesen, daß er dort war. Der zweite Mann der dänischen Abwehr, Oberst Lunding, schreibt in seinen Erinnerungen 1968, HG habe die Dänen mehrfach vor Aktionen der Deutschen gewarnt und sie in den Stand versetzt, ihre Widerstandsgruppen zu schützen. Hatte er sich das vorgenommen, als er in Berlin das Einmaleins der Abwehr lernte? Ging er nach Dänemark, um Schlimmeres zu verhüten?
HG – auch das Tarnung – hat noch nicht mal seine Uniformen dabei. Es hat sich allerdings die Legende gehalten, am 8. April, also am Vorabend der Besetzung, sei er im Frack zum Diner bei ahnungslosen Freunden gewesen und am nächsten Morgen im Kopenhagener Hotel »Phoenix« in Uniform erschienen. Tatsächlich fliegt er erst ein paar Tage später nach Hause, um die Uniformen zu holen, und ist dann auch äußerlich erkennbar als Besatzungsoffizier. Was HG von der Besetzung seiner Wahlheimat hält, kann ich mir nur zusammenreimen. Ab dem Brief vom 8. April 1940 ist seine Korrespondenz mit Else verschwunden – ich habe eine handgeschriebene Notiz von ihr gefunden, da steht: »Die meiste Post aus Dänemark auf Anordnung von Hans Georg vernichtet – Herbst 1943.«
HG bleibt zwei Jahre lang bis zum Februar 1942 als Abwehroffizier in Kopenhagen. Was der Grund ist, seine Post aus Dänemark verschwinden zu lassen, warum er Else erst anderthalb Jahre später dazu veranlaßt – in jenem Herbst 1943 ist HG bereits aus Rußland zurück und bei der Abwehr in Berlin – das gehört zu den schwierigen Passagen in dem Puzzle-Spiel, das ich zu meistern habe. Ich bin nicht sicher, daß ich die Teile richtig zusammensetze. Hat diese Briefvernichtung etwas damit zu tun, daß die Umstände in Dänemark im Herbst 1943 richtig »deutsch«, das heißt richtig grob werden und HG entweder sich selbst oder dänische Freunde schützen will? Doch sind die Aktivitäten von III F so geheim, daß die Akteure dort sich von niemandem in die Karten sehen lassen und selbst dem Amtschef Canaris diese Abwehr in der Abwehr gelegentlich unheimlich ist. Das war ein »Mönchsorden«, versichert mir jemand, der davon mehr versteht als ich. Das erklärt, warum ich in dänischen Archiven nichts über HG gefunden habe, und ich kann davon ausgehen, daß HG nichts nach Hause geschrieben hat, was man anschließend vernichten muß.
Eine Lieblings-Dänin, langjährige Haustochter in Halberstadt, schreibt im April 1940 an Else – damals ist Kirsten 25: »Wir finden es unerhört, daß wir ›beschützt‹ werden sollen, ohne gefragt zu werden. Es ist empörend, daß die Großmächte ihren Streitigkeiten auf den Boden von kleiner unbeteiligter Länder ausfechten, weil sie sich fürchten, diese an ihre eigene Grenzen zu kämpfen. Ich habe nach all der Zeit bei Euch nie gewußt, wie dänisch ich bin.« Else an Tochter Barbara, und ich denke, sie weiß es nicht besser: »Bitte bedenke immer, daß Vater vorher als friedlicher Kaufmann für die Saatgutstelle in Dänemark war. Er arbeitet
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