Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
arrangiert. Es war eine kühle Zweckgemeinschaft, die Dänen liebten die Deutschen nicht, aber der wütende Haß auf die Besatzer kam erst später. Regierung und Bevölkerung spielten auf Zeit, und es waren Regeln einzuhalten: Dänenvetter Gregers Hovmand erzählte mir, daß er HG einmal vor die Tür gesetzt habe, als ihm klargeworden sei, daß der in einem deutschen Dienstwagen mit uniformiertem Chauffeur bei ihm vorgefahren war. Ich finde die Geschichte in Elses Briefen an Tochter Barbara wieder, danach hat HG es auf der Durchreise eilig gehabt und das Auto nicht um die Ecke parken wollen. Else: »Du weißt, wie weit die nächste Ecke da im Hafen von Bandholm von Gregers’ Haus weg ist. Wenn man das Auto wirklich verstecken will, hast Du weit zu laufen. Aber Du kannst Dir denken, wie peinlich das Vater war, er ist ja sonst nicht taktlos.«
Aus den Ferien in Dänemark schreibt Else im Juli 1940: »Ich kann so gut verstehen, wie schwierig das für die Menschen hier ist. Es geht ihnen so wie uns bei der Ruhrbesetzung durch die Franzosen, nur daß die Franzosen sich damals aufgeführt haben wie die Schweine, während hier die deutschen Soldaten ein tadelloses Benehmen an den Tag legen. Das bestätigen alle hier. Die Dänen hatten Vandalen erwartet, sie erleben Gäste, nun werden sie hoffentlich auch über anderes zweimal nachdenken, was sie aus der feindlichen Hetz-Presse über uns erfahren.« Ach Else!
HG als »Gast« in Dänemark – ich habe ihn in Gästebüchern von Leuten aller politischen Couleur gefunden, seine Verbindungen reichten von Geheimdienst-Größen bis zu den Sozialisten. Eine der drei Lieblingsdäninnen – ebenfalls früher Haustochter in Halberstadt – machte damals eine Lehre in einer Buchhandlung genau gegenüber der Britischen Botschaft in Kopenhagen. Pelse sieht HG da rein- und rauslaufen in Zivil, »merkwürdig angezogen, mit grünem Hut!«. Es geht die Vermutung, HG habe dort die Papiere der Familien Hovmand eingesammelt, die waren Honorar-Konsuln für Großbritannien gewesen und hatten vielfältige Verbindungen politischer und geschäftlicher Natur mit England. Die Hovmands sind von den Deutschen nie nach ihren Londoner Kontakten befragt worden, nachdem die britische Botschaft Hals über Kopf geräumt worden war. Hat Pelse HG darauf angesprochen? »Er hat gelacht: Kannst du dich mal um deine Bücher kümmern, statt den Besuchsverkehr beim englischen Erzfeind zu überwachen!«
Ab Februar 1942 ist HG an der Ostfront. Warum ist er das? Es gibt Aufzeichnungen aus der Zeit nach dem Krieg, und so hat es auch Else erzählt, HG habe seine Versetzung verlangt, weil er das Unrecht, das in Dänemark geschah, nicht habe mittragen wollen. Es geschah aber kein sonderliches Unrecht in Dänemark in den ersten Jahren, sieht man mal von der Besetzung als solcher ab. Else schreibt ins Kindertagebuch nach Beginn des Rußlandfeldzuges: »Es ist ein furchtbarer Krieg. Ich bin so froh und dankbar, daß Vater in Dänemark ist und diesen Krieg nicht mitmachen muß. Vater ist natürlich traurig und versucht alles, um dort fort zu kommen, da es natürlich für einen Mann nicht schön ist, so in der Etappe zu sitzen und ein gutes Leben zu führen, während die Kameraden diese Strapazen und Schwierigkeiten durchstehen müssen.«
Ich fürchte, das ist es: Ehre! Der Mann ist 43. In dem Alter hat sein Vater Kurt sich seufzend als Kolonnenfahrer beschieden im Ersten Weltkrieg, statt mit seinen Kürassieren in vorderster Linie dabei zu sein. Hier geht jetzt die Rede, daß HG ein Bataillon (!) führen will, kämpfende Truppe, untrainiert wie er ist. In Polen hatte er begriffen, daß dies kein Job für ihn sein kann. Da wollte sein Regiment ihn zum »Stabskommandanten des Generalkommandos« machen, und HG schrieb an Else: »daß bei einer weiteren Verwendung des Rgts. im Westen andere Leute wohl ebenso gut oder besser als ich Kompagnieführer an der Front darstellen können, während es mir als älterem Krieger, der ich ja immerhin nun schon ganz reichlich im Feuer gestanden habe, und als Familienvater wohl zusteht, mal in einen hohen Stab zu rücken.«
Wieso jetzt doch wieder Front, auch noch in Rußland? Vielleicht ist es doch nicht die Ehre. Warum hat HG seine Briefe aus Dänemark durch Else vernichten lassen? Warum hat sie sogar in den Unterlagen der Kinder die Sonntagsbriefe aus Dänemark rausgezogen? Was ist in der Zwischenzeit passiert? War HGs Zusammenarbeit mit den Dänen ruchbar geworden und der Boden ihm zu
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