Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
dazwischenschieben wegen der Heiterkeit der »kleinen Frau Klamroth«, wie sie sich nennt. Sie arbeitet 12-Stunden-Schichten im OKW, nachts sind die Alarme beängstigend, wenn sie nach dem Dienst durch das stockdunkle Berlin zu Fuß nach Hause geht. Bernhard ist meistens in Ostpreußen, und so hört sich das bei ihr an: »Was macht es aus, daß ich nicht weiß, wie ich es anstellen soll, daß ich mit meinem Brot reiche, was macht es aus, daß ich immer ziemlich gehetzt bin, es kommen ja Tage, die mich tausendfach für all das entschädigen, in denen der Krieg und der nervenaufreibende Dienst in den Hintergrund treten, es gibt ja sogar jeden Tag ein paar Minuten, wo alles andere weit fort ist, wenn das Telefon in der Nacht klingelt und ich mit Bernhard telefonieren kann. Ich bin unerhört glücklich, es geht mir so gut, ich bin nämlich sehr, sehr glücklich verheiratet.« Oder, an die Eltern: »Ihr habt doch auch in einer so winzigen Wohnung angefangen, was ist es bloß gemütlich, und wie bin ich glücklich, daß Bernhard sich hier auch so wohl fühlt. Er neckt mich immer, ob ich nicht noch ein bißchen Staub wischen will, und am liebsten würde ich das immerzu. Es ist sooo schön hier!« Auf einer Postkarte an Barbara: »Du, Ehe ist prima!!«
HGs Job in Berlin strengt ihn an, und er beutelt seine Psyche. Im Juli 1943 schreibt er an Else: »In diesen Tagen haben mich im Dienst wieder Probleme ausgefüllt, die meine ganze Nerven- und Seelenkraft erforderten. Es kann ja sein, daß man mit der Zeit gegen derartige Dinge abstumpft und sie dann nicht mehr so schwer erträglich findet; ob diese Gewöhnung aber im Grunde gut wäre, möchte ich bezweifeln. Nie habe ich so deutlich empfunden, daß wir in einem gewaltigen Kampf der Weltanschauungen auch im Inneren stehen, in einem Kampf, in dem Fronten und die richtige Seite nicht so klar zu erkennen sind, wie an den äußeren Kriegsfronten. Wie viele Gelegenheiten bieten sich mir jetzt, neue interessante Beziehungen anzuknüpfen, führende Männer und maßgebende Frauen kennen zu lernen, Anschluß an geistige Bewegungen zu finden, die unsere Zeit beeinflussen werden.«
Ich kann nur ahnen, was er meint, und ich glaube nicht, daß Else ihn versteht. Diese Art Austausch zwischen beiden ist abgerissen. Wenn zutrifft, was ich vermute, daß HG durch Erfahrungen im Job und durch Gespräche mit Menschen seines Vertrauens dabei ist, seine politischen Koordinaten zu überprüfen, wird er mit Else nicht darüber reden, weil er sie schützen will. Im nächsten Brief bittet er darum, sie solle der SS in Halberstadt seine »schwarzen Uniformen« aushändigen, »ich will sie aus bestimmten Gründen stiften. Sie hängen im Uniform-Schrank, gib nun aber nicht das falsche Koppel mit.« Warum tut er das? HG hält sich sonst, so schreibt er, »von den vielen neuen Strömungen« zurück. Er merke, daß er körperlich und seelisch »aus den inneren Reserven« lebe, mit denen er haushalten müsse, um weiter funktionieren zu können. Der allnächtliche Fliegeralarm zehrt an seinen Kräften, weil er nicht genug schläft, »und wenn nur nicht das ewige Hungergefühl wäre!« Auch HGs Seele friert: »Wie schön wäre es, wenn ich Dich hätte, Liebes, wieder ganz und ohne Vorbehalte«.
Anfang August 1943 wird die Berliner Bevölkerung aufgefordert, nach Möglichkeit die Stadt zu verlassen – »Kinder alle, Frauen ebenfalls, sofern nicht werktätig, Männer sollen bleiben«. HG beschreibt das Tohuwabohu in der Stadt: »Run auf die Lebensmittelkarten-Stellen, auf die Bahnhöfe, lange Schlangen mit viel Sack und Pack an den Frachtgut-Absendestellen und an den Paketannahmen der Postämter, die Kommentare der Leute entsprechend.« Ursulas und HGs Dienststellen bleiben vorläufig in Berlin, also hat HG nach Rücksprache mit Bernhard dafür gesorgt, daß Ursula ihre Wohnung in der Brükkenallee in Tiergarten verläßt und zu ihm nach Schlachtensee kommt, wo er das Haus von Freunden hütet. Er verstärkt die Kellerdecke mit Baumstämmen aus dem Garten, karrt Sand vom Strand des Schlachtensees ins Haus, absolviert einen Brandschutzkurs – »man kann doch eine Menge tun!« – und hortet Lebensmittelvorräte. »So ist das ›Liebesleben‹ hier in Berlin jetzt«, schließt er den Brief und setzt einen handgeschriebenen Gruß an »Enziane Himmelblau« darunter. Wer ist das denn? Ich habe sie im Kindertagebuch gefunden: Enziane ist eins meiner »Luftkinder«, die ich dem häuslichen Trubel als
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