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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Spielgefährten meiner Wahl entgegensetze.
    Im November 1943 kommt HG spätabends von einer Konferenz in der Dienststelle Zossen nach Berlin zurück  – »dichter Nebel, ich war schon erleichtert, weil uns deswegen wohl der übliche Luftalarm erspart bleiben würde«. Statt dessen gerät er in einen Großangriff, den er und ein Abwehr-Kollege in einem Bunker am Anhalter Bahnhof überstehen. »Mustergültig die große Menschenmenge dort, keine Panik, Totenstille, während oben die Einschläge über unseren Köpfen krachten.« Draußen empfängt ihn ein Inferno: »Brände, Brände, Brände. Jedes Durchkommen war unmöglich, die Häuser brannten zu beiden Seiten der Straße, ein gewaltiger Funkenregen ging nieder, dazwischen krachten noch dauernd Bomben mit Zeitzünder.«
    Es brennt vom Askanischen Platz bis zur Friedrichstraße, die Linden, die Straßen rechts und links davon. Das Brandenburger Tor ist unversehrt, der Tiergarten, »Bäume, Rasen, Sträucher – alles brennt. Das Bendlerviertel brennt, das schöne Schloß Bellevue, das Hansaviertel, die Brückenallee – arme Ursula! Weiter Richtung Zoo zusammen mit einer merkwürdig stummen Menschenmenge, die wie wir nur ein Ziel hatte: Raus hier! Immer in der Mitte der Fahrbahn, irrsinnig heiß wegen der Feuer rechts und links. Es brennt die Gedächtniskirche, der Ufa-Palast, der Zoo, die Musikhochschule, das Oberverwaltungsgericht, last not least mein Laden in der Jebensstraße. Brennende Busse und Bahnen auf der Straße, knatternde Flammen, ein Funkenorkan – und kein Wasser!«
    Sie finden ein wunderbarerweise unversehrtes Militärgebäude in der Hardenbergstraße, »leer bis auf einen alten Wachmann, mit einem prima Luftschutzkeller mit Betten, völlig unbenützt, auch hier kein Wasser«. Dort schlafen sie erst mal drei Stunden »trotz Hungers, wir hatten seit dem Morgen nichts gegessen und jetzt seit Stunden in all dem Feuer nichts getrunken«. Um vier Uhr früh laufen sie über den lichterloh brennenden Ku’damm – »kein Mensch mehr auf den Straßen, nur die Flammen taten, ohne menschliche Gegenwehr, grausig und gründlich ihr Zerstörungswerk«. An der Avus halten sie einen Lastwagen an, der sie nach Westen bringt, noch mal ein Fußmarsch von einer Stunde durch die weniger zerstörten Villenstraßen, um halb acht morgens betreten sie das Haus in Schlachtensee. Dort sind »alle Fenster kaputt, das Dach zum Teil abgedeckt, es gibt kein Gas und kein Wasser, aber wir und das Haus sind heil«. Bei fünf solchen Großangriffen in zwei Wochen haben 2212 britische Flugzeuge 8656 Tonnen Bomben auf Berlin abgeworfen, 2700 Menschen sterben, 250 000 werden obdachlos.
    HG läuft ein paar Tage später zu Fuß durch die Innenstadt, um seine Dienststelle zu finden, das Telefon funktioniert noch nicht wieder. »Es ist bewundernswert, wie die Pioniere schon wenigstens die Fahrbahnen freigeräumt haben und die einsturzgefährdeten Gebäude abstützen, aber der Eindruck der zerstörten Straßen ist einfach unbeschreiblich! Und gleichzeitig kam mir siedend heiß der Zorn hoch auf diese Schweine von Tommies, die in Stunden hier die Arbeit vieler Generationen vernichtet haben! Rache – Rache – Rache!!!« Und was ist mit den deutschen Luftangriffen auf London und andere Städte, was ist mit Coventry? Vielleicht ist es zu viel verlangt, daß HG angesichts der rauchenden Trümmerwüste in Berlin darüber nachdenken soll, wo die Henne ist und wo das Ei, daß er sich an die furchtbare Zerstörung Warschaus erinnert, die ihn damals so entsetzt hat. Außerdem ist Wut eine Therapie gegen Verzweiflung.
    HG braucht die auch im Umgang mit Else: »Herrgott, nun laß endlich in drei Teufels Namen diese alten Geschichten ruhen und belästige Dich und mich nicht mit etwas, das längst begraben und vergessen sein könnte, wenn es nicht immer wieder künstlich zum Leben erweckt werden würde.« – »Im übrigen müßte ich Dir wohl eigentlich beichten, daß ich, wenn ich schon an eine andere Frau als an Dich denken sollte, zur Zeit jemand ganz anderes im Auge habe, und daß Hanna bei vielen anderen weit im Hintergrunde ruht.« – »Daß ich wirklich neben meinem Dienst weder für Inge noch für Hanna oder ähnlich abwegige Themen Gedanken übrig habe«. – »Es wäre uns zu wünschen, daß wir aus diesem verächtlichen Dienstmädchen-Niveau der Eifersucht wieder herauswachsen und zu den freien und großzügigen Menschen, die wir früher waren, zurückkehren, zwischen denen von

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