Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
daß seine »Vorliebe für blutjunge Mädchen« mit dem zweiten Jahrzehnt einen »ernsthaften Knacks« bekäme. Er schwärmt von der schönsten Frau Oberstleutnant unter der Sonne, er wünscht sich »mindestens zehn Jahrzehnte« mit ihr und er träumt von »Deinem Kopf an meiner Schulter, Deinen Brüsten, Deinen zärtlichen Händen, Deinem Atem, Deinen Lippen, von Dir ganz, Geliebte – ich liebe Dich so unendlich, mein Liebling«. Das ist Bernhards letzter Brief, geschrieben am 19. Juli 1944.
HG ist oft in Halberstadt, da schreibt er nicht so häufig. Im Mai gibt es noch einen Zornesausbruch: »Versuche doch mal wieder, mir zu zeigen, was für ein Glück es ist, Dein Mann zu sein – ein Glück, das ich mir in der letzten Zeit fast nur mit spärlichen Erinnerungen an die Vergangenheit und in vager Hoffnung auf die Zukunft suggerieren muß!!« Aber Anfang Juni schreibt er: »Du Arme hast es besonders schwer, weil Du unter den Eindruck gekommen bist, daß ich mich nicht nur auf Dich und meinen Beruf, sondern außer Dir noch auf andere Frauen aufteile; daß ich diese Auffassung für falsch und ungerecht halte, macht mich doch nicht blind für die Tatsache, daß Du sie hast – und daß ich schuld daran bin, daß Du zu ihr kamst. Es tut mir so leid, daß Du Dich deshalb doppelt einsam fühlst, und ich suche nach allen möglichen Wegen, um Dir das Gefühl der Vereinsamung zu nehmen. Ich wünschte, wir könnten mal einen langen Urlaub zusammen auswärts verbringen, ganz allein, nur wir beide; vielleicht würdest Du dann merken, wie lieb ich Dich habe!« Zwei Zettel finde ich noch vom Juli 1944, offenbar mitgeschickt in Paketen: »Ich habe Dich sooooo lieb!« und »Ich denke so gern an Dich!«
Am 20. Juli um 12 Uhr 42 explodiert Stauffenbergs Bombe im Führerhauptquartier Wolfschanze. Else erfährt das erst nachts, als Hitler eine kurze Ansprache im Radio hält. Sie wird wach, weil Bernhard anruft, der nach Ursula und dem Baby fragt. Else im Kindertagebuch: »Bernhard war so kurz und so entsetzlich ernst in dem Gespräch. Er wollte aber Ursula nicht wecken.« Es ist Bernhards letzter Anruf in Halberstadt. Else macht danach das Radio an wegen der Feindflüge, hört Hitler sagen, daß Offiziere den Mordanschlag versucht hätten, und weiß »im selben Augenblick, daß Bernhard beteiligt ist. Wie soll ich Euch meine Sorge und Angst beschreiben, wie kann ich das? Worte reichen nicht aus.«
Else erzählt niemandem davon. Ursula, ahnungslos, macht mit ihr einen »Wehen-Spaziergang« am nächsten Abend, das ist jetzt der 21. Juli, und als sie zurückkommen, wartet HG auf die beiden im Tempelchen. Immer, wenn ich dieses Tempelchen sehe im Garten am Bismarckplatz, habe ich HG vor Augen, wie er da sitzt auf einer der wuchtigen Sandsteinmauern rechts und links der Treppe, er sitzt da in Uniform, und ein stummer Blick zwischen ihm und Else bündelt die Angst, die sie beide umtreibt. Ursula geht in ihr Zimmer, HG erzählt Else nur das Nötigste, Bernhard sei »beteiligt« und er selbst habe davon gewußt – und um kurz nach elf Uhr nachts setzt die Geburt ein.
Else schreibt Bernhard einen Brief, während sein Kind auf die Welt kommt, sie fängt schon ein paar Tage vorher damit an, da sieht es so aus, als wäre es jetzt so weit. Sie schreibt in Fortsetzungen: »16. Juli 22 Uhr – Ursula hat noch keine Schmerzen, nur so unbestimmte Gefühle. Sie geht jetzt nach oben und will baden. Sie ist ganz ruhig und heiter und gar nicht nervös. Das Letztere kann ich von mir nicht behaupten. Ich habe ein sehr unangenehmes Gefühl von Hohlheit in der Magengegend, ich habe geradezu märchenhafte Angst. Vorhin ging unser Telefon nicht, das hätte mir wohl gerade noch gefehlt. Ich denke in diesen Stunden sehr an Dich, Bernhard, ich bin sehr glücklich, daß Du Ursulas Mann bist und der Vater unseres nun hoffentlich bald schreienden kleinen Enkelkindes. Ursula hat sich in diesen anderthalb Ehejahren sehr entwickelt, und daran hast Du eben den wesentlichsten Anteil.«
»17. Juli 20 Uhr – Leider alles ruhig, dabei würde es so gut passen, heute an Ursulas Geburtstag und jetzt ist die Luftlage so günstig. Ich habe Hans Georg in Verdacht, daß er erst kommen will, wenn das Baby da ist, er hat auch Angst! Puha, ich wollte, es wäre erst so weit.«
»18. Juli. 17 Uhr – Wir warten weiter. Eben ist Ursula oben auf dem Balkon mit dem Liegestuhl zusammengebrochen, vielleicht nimmt das Baby dies als Aufforderung. Seit ein paar Tagen geht es
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