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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Eben will die Hebamme ihr einen Einlauf machen. Es ist eine blöde Schinderei, aber es hilft, es treibt es vorwärts. Sie hat ja jetzt fünf Stunden lang mit den kurzen Pausen die Wehen. Es ist wirklich erstaunlich, daß sich die Mütter drei-, vier-, fünfmal und mehr immer wieder dazu hergeben, diese Schmerzen auf sich zu nehmen. Sie sind so schnell vergessen, das ist das Gute, und man weiß, wofür.«
    »Es ist 5 Uhr. Ursula hat eben ein Belladonnazäpfchen bekommen, das soll lockern und beruhigen. Der Muttermund hat sich erst talergroß geöffnet. So fing ich immer an, und bei Ursula ist es das Ergebnis von sechs Stunden Schmerzen. Wenn ich ihr doch helfen könnte! Und vielleicht haben wir neuen Alarm, ehe das Kind geboren wird!«
    »7 Uhr – Ursula hat ganz heiß gebadet, das schaffte ihr etwas Erleichterung. Der Muttermund hätte sich weit geöffnet, sagt die Hebamme. Aber was wird sie geschunden, das arme Kind! Noch immer ist die Blase nicht geplatzt! Wenn wir bloß nun nicht bald Alarm bekommen. Ich habe solche Angst! Es ist bald neun Uhr! Noch immer muß sie sich schinden. Sie liegt jetzt wieder. Jetzt muß sie arbeiten und selber mit pressen, damit die Blase endlich platzt.«
    »8.55 Uhr – die Blase ist geplatzt, endlich! Das Schlimmste ist überstanden!«
    »9 Uhr 48 – Bernhard, ein Junge!! Ein gesunder, kräftiger Junge! Und Ursula ist so strahlend und so glücklich! Sie hat so gearbeitet die letzte 3/4 Stunde – und nun ist er da und schrie gleich, und alles ist vergessen, nur eine schrecklich große Freude und ein ganz großes Schöpfergefühl. Sie hat ihn sich aber auch erarbeitet und erkauft heute Nacht. Es ist aber auch ein Mordsbengel! Ich bin ja so froh und so dankbar!«
    »Der Vollständigkeit halber will ich noch nachtragen, daß drei Nadeln gelegt werden mußten, eine sehr schmerzhaft, aber auch hierbei war Ursula sehr tapfer. Der Junge wiegt 8 Pfund und ist 56 cm lang, Kopfumfang 37 cm. Die große Freude und das strahlende Glück von Ursula, als der Junge endlich da war und seinen ersten gleich sehr kräftigen Schrei ausstieß, hätte auch Dich mit der elfstündigen Quälerei ausgesöhnt. Ich freue mich, daß sie so tapfer durchgehalten hat und diesen Moment des ersten Schreis bei vollem Bewußtsein erleben konnte. Es ist bestimmt das stärkste Erlebnis im Leben einer Frau, mit nichts zu vergleichen an Eindrucksvollem und an Glücksgefühl. Du warst natürlich doch die lange schwere Nacht bei uns. Jetzt wartet sie auf Dein Kommen, um Dir Deinen Sohn zu übergeben. Hoffentlich ist das bald möglich.«
    Ich will nicht darüber nachdenken, ob eine Frau sich elf Stunden lang quälen soll, um dem Vater »seinen Sohn zu übergeben«, auch nicht über die archaischen Umstände, unter denen Frauen damals ihren Nachwuchs zur Welt brachten, zu Hause mit dem aberwitzigen Risiko für Mutter und Kind. Ich halte Elses Brief an Bernhard in der Hand, auf Durchschlagpapier geschriebene fünf Seiten, und ich sehe: Das ist das Original. Sie hat ihn nicht abgeschickt, nicht mehr – es war zu spät. HG telefoniert mit Berlin am Vormittag und erfährt, daß Bernhard »fort« ist – das ist jetzt am 22. Juli. HG muß nachmittags kurz nach Nordhausen und bringt von dort die – falsche – Nachricht mit, Bernhard sei am Abend des 20. Juli in der Bendlerstraße mit Stauffenberg und den anderen erschossen worden. Else im Kindertagebuch: »Ursula wunderte sich langsam, daß sie nichts von ihm hörte, denn Bernhard fand immer Mittel und Wege, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Wir erzählten ihr, daß Bernhard plötzlich dienstlich hätte nach Budapest fahren müssen. Ich wollte ihr nichts sagen, bevor ich nicht Gewißheit hatte.«
    Immer noch Else im Kindertagebuch: »Wie war es schwer, die nagende Angst vor ihr zu verbergen! Dazwischen wie ein Gespenst geisterte Großvater, der ganz irre war in diesen Tagen. Vater hatte ihn noch nie so erlebt, er war so entsetzt! Und dann dieses neue kleine Leben, wie hat Vater, der doch Babys so liebt, sich gefreut und was für Hoffnungen, wider alle Vernunft, hat er auf dieses Kind auch für sich und die Firma gesetzt. Vater reist am 25. Juli ganz früh nach Berlin, wir sollten ihn nie wiedersehen. Am selben Abend spät kommt die Gestapo zu einer vierstündigen Haussuchung, mit Mühe halte ich sie davon ab, zu Ursula, die schon sehr unruhig ist, aber noch nichts weiß, ins Zimmer zu gehen.« – Großer Gott, das konnte Else! Das hat sie später mit den Russen auch

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