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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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hat sich fortgesetzt selbst in Zeiten von Hitlers größten militärischen Erfolgen, als die allgemeine Bewunderung für ihn keine Grenzen kannte. Er wurde immer dringlicher, seit die Einsatzgruppen der SS im Windschatten der deutschen Truppen zuerst in Polen, dann überall in Europa ihre Schneisen von Hölle und Vernichtung zogen und Millionen Juden in den Gaskammern starben. Widerstand war eine nahezu unlösbare Aufgabe in einem totalen Staat mit seiner übermächtigen Gestapo, den Sicherheitsdiensten, der SS, mit einer Bevölkerung, die Hitler noch immer anbetete, mit Millionen von Soldaten, die einen Eid auf ihn geschworen hatten.
    Um sie von diesem Eid zu entbinden, mußte Hitler beseitigt werden. Um das Regime zu stürzen, brauchte es den Militärputsch mit der eingespielten Befehlsleiter von oben nach unten, mit der Übernahme der vollziehenden Gewalt durch die Wehrmacht, dem Ausnahmezustand. So wollten die Verschwörer den Bürgerkrieg verhindern. Danach sollte eine zivile Regierung das Land zurückführen in die Gemeinschaft zivilisierter Völker. Ob das geklappt hätte, wer weiß es denn. Hitler war nicht tot, der Putsch brach zusammen, die Revolution fand nicht statt.
    Es waren zwar viele, die sich der Verschwörung angeschlossen hatten – etwa 600 wurden verhaftet, und das mögen nicht alle gewesen sein. Aber es waren unter Millionen verschwindend wenige, die ihr Gewissen über ihr Leben stellten. Wären sie nicht gewesen, sie oder die Mitglieder der »Weißen Rose« oder der tapfere Georg Elser, der am 8. November 1939 den Münchner Bürgerbräu-Keller in die Luft jagte – viele müßte ich noch aufzählen, die jeweils an ihrem Platz sich verweigert haben – ohne sie wäre für uns, die Nachkommenden, in der moralischen Trümmerwüste nach dem Krieg nichts zu finden gewesen, woran wir uns hätten halten können.
    Ich weiß nicht, ob es Bernhard ist, der HG in die Umsturzpläne einweiht. Ich glaube das eher nicht. Auf jeden Fall vermute ich, daß wer immer ihn ins Bild gesetzt hat, bei HG offene Türen einrannte. Er ist in Dänemark nicht vor Landesverrat zurückgeschreckt, als er die Gegenseite mehrfach vor Aktionen der Deutschen warnte. HG schreibt im Sommer 1943 über den »gewaltigen Kampf der Weltanschauungen auch im Innern«, über die »geistigen Bewegungen, die unsere Zeit beeinflussen werden«, er gibt seine SS-Uniformen weg. Ich denke, daß er sich spätestens zu diesem Zeitpunkt neu orientiert, daß auch der Umsturz – also Hochverrat – in sein Blickfeld geriet. In den Vernehmungen bei der Gestapo nennt er Stalingrad als Auslöser, es wird eine schleichende Entwicklung gewesen sein.
    Daß HG nicht aktiv beteiligt ist an den Umsturzplänen, macht Sinn. Er sitzt auf seinem Abwehrposten fernab einer Position, wo er sich hätte »nützlich« machen können. Was aber geht in ihm vor? Wie löst er für sich die Konflikte um den »Tyrannenmord«, den »Dolchstoß«-Vorwurf, seinen Eid? Wie geht er mit seiner Sorge um, der Sorge aller Konspiranten, daß Deutschland in einem Bürgerkrieg versinkt, während an den Fronten die Kriegsgegner den Druck erhöhen? Hofft er, das Attentat möge gelingen um Deutschlands Selbstachtung willen, ist auch er überzeugt, daß es »vor der Geschichte« unumgänglich sei, sich selbst zu reinigen, »côute que côute«, koste es, was es wolle, wie Henning von Tresckow Graf Stauffenberg wissen ließ? Das war einige Tage nach der Invasion der Alliierten in der Normandie, und Stauffenberg hatte die Frage aufgeworfen, ob ein Anschlag jetzt noch sinnvoll sei.
    HG weiß, was das Regime aus Deutschen gemacht hat. Wenn er in Polen nichts von den Massenmorden gesehen hat, weil sein Regiment so schnell abgezogen ist, wenn Dänemark zu HGs Zeiten vergleichsweise noch eine Sommerfrische war, Rußland war es nicht. Spätestens dort müssen ihm die Augen aufgegangen sein. Daß er nie darüber geschrieben hat, heißt nichts. Er schreibt auch nicht über das KZ Mittelbau-Dora in Nordhausen. Er spricht nicht mit Else darüber. Sie hätte sich daran erinnert, als sie nach dem Krieg ins Kindertagebuch schrieb, wie es war, als HG am 21. Juli 1944 ein letztes Mal nach Halberstadt kam: »Ich weiß noch, wie einleuchtend mir Vaters Darstellung von der Notwendigkeit des Attentats war, aber er sagte nur so wenig, so wenig. Alles, was ich erfuhr, habe ich so mühsam aus ihm rausgezogen. Er wollte nicht, daß ich durch Wissen bei einem etwaigen Verhör durch die Gestapo belastet wäre,

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