Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
Vom Netzwerk:
Bemühungen, den Sprengstoff für den Anschlag zu besorgen. Sie weiß nichts von seiner Reise nach Berlin zusammen mit ihrem gemeinsamen Freund Albrecht von Hagen am 24. Mai, als beide Männer die Bombe zu Stauffenberg in den Bendlerblock bringen. Ursula ist tapfer und schickt Bernhard »Quatsch-Briefe«, wie sie das nennt, aber er spürt ihre Angst vor der Geburt des Kindes ohne ihn, sie fühlt sich einsam trotz des Trubels im Haus. »Du bestehst nur aus Sehnsucht, meine Geliebte«, schreibt Bernhard und stellt sich ihr an die Seite: »Ich auch, meine zauberhafte Frau. Und ich bin bei Dir, bei Dir, bei Dir!« Am 1. Juli kommen er und HG auf eine Stippvisite nach Halberstadt, Bernhard muß am nächsten Morgen wieder weg. Es ist das letzte Mal, daß sie ihn sehen.
    Ich kann mich noch ein bißchen festhalten an dem Alltag am Bismarckplatz. Es wird wieder einmal umgeräumt im Haus, weil nun zu der zahlreichen Verwandtschaft auch fremde Bomben-Geschädigte eingewiesen werden. Einer ist dabei, ein Schauspieler namens Fischer-Colbri, der die Kinder fasziniert, weil er seine Rollen – welche Rollen und wofür? – laut deklamiert, auch den »Kleinen Hey«, die »Kunst des Sprechens«, damals Standard-Übung für alle lautstarken Hamlets: »Da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt, da ringelt und schleift es und rauschet und wirrt, da pispert’s und knistert’s und flüstert’s und schwirrt, nun dappelt’s und rappelt’s und klappert’s verirrt« – das mach mal! Die lauschenden Kinder vor der Zimmertür lernen mit, und ich stelle mir vor, wie die Jung-Artisten mit diesen Texten die Treppen rauf und runter turnen auf Händen, neueste Schwierigkeitsstufe sind zwei Stufen auf einmal. Sie können auch Goethe im Chor: »Oh gib vom weichen Pfühle träumend ein halb Gehör bei meinem Saitenspiele – schlafe! Was willst du mehr?« Alle sind traurig, als Herr Fischer-Colbri woanders eine Bleibe findet.
    In Goebbels’ Tagebüchern entdecke ich HG in einem Eintrag vom 29. Juni 1944: »Major Klamroth von der Abwehr, dessen Aufgabe es ist, über eine Geheimhaltung unserer neuen Vergeltungswaffen zu wachen, hält mir einen ausführlichen Vortrag über die augenblickliche Lage unseres Vergeltungsprogramms. Diese ist ungefähr folgende« – und dann berichtet HG dem Propagandaminister über V 2 und V 1, und daß keine von beiden den hochgesteckten Erwartungen entspricht. Er wird sich nicht beliebt gemacht haben mit Sätzen wie »bei den letzten Versuchen hat sich ergeben, daß das Geschoß sich meist in 2000 m Höhe selbst aufgelöst hat« oder »zwei Projektile sind versehentlich in Schweden und ein weiteres dicht beim Jagdschloß des Reichsverwesers Horthy gelandet« – der Mann saß in Ungarn.
    Else hat schon vor einiger Zeit über HG ein russisches Hausmädchen bekommen, eine von den Fallschirmspringerinnen in Pleskau, die hierdurch der Erschießung entgeht. Schenja heißt sie, alle nennen sie Jenny, und sie weint sich anfangs die Augen aus dem Kopf vor Heimweh. Else grübelt im Sonntagsbrief: »Mit ihr ist es mir ein bißchen sehr wie ›leibeigen‹. Wenn ich nun scheußlich zu dem Kind wäre, was wollte sie dann machen? Eigentlich ganz gräßlich. Ich kann mich aber damit trösten, daß sie es bestimmt noch nie so gut gehabt hat wie jetzt.« Jenny fühlt sich bald so wohl, daß sie von einem Urlaub in Rußland tatsächlich zurückkommt und Else gelegentlich Mamutschka nennt. Auch ihre Spur hat sich nach dem Krieg verloren.
    Allmählich bringt Else abgelegte Bombenschützlinge bei der Verwandtschaft unter, sie nötigt Freunde und familiäre Dauergäste, sich anderswo eine Schlafstatt zu suchen, sie will keine durchreisenden Hamsterfahrer mehr bei sich sehen – sie will das Haus leer haben, jedenfalls den Teil, für den sie verantwortlich ist. Es soll Ruhe sein, wenn Ursula ihr Kind bekommt.
    »Ich war sehr nervös wegen der dauernden Alarme und betete, daß wir verschont bleiben würden, wenn es so weit war«, schreibt Else nach dem Krieg ins Kindertagebuch. »Ursula war sehr tapfer und vermißte Bernhard so sehr, aber sie tröstete mich, indem sie mir erzählte, daß sie nur eine von Hunderttausenden werdender Mütter sei und alle sich so verhalten müßten wie ihre Männer an der Front. Ach Ursula, wie gut, daß sie nicht wußte, was sie auszuhalten haben würde.«
    Am 17. Juli wird Ursula 20, sie bekommt sieben Geburtstagsbriefe von Bernhard, die ersten sind schon vom 8. Juli – er neckt sie damit,

Weitere Kostenlose Bücher