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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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braunen Leute«. Man war unter sich, und die Vernehmer in der »Sonderkommission 20. Juli« äußern in den Kaltenbrunner-Berichten immer wieder ihr Erstaunen, mit welcher Offenheit in den einschlägigen Offizierskreisen über Umsturzpläne geredet worden sei, ohne daß davon irgend etwas nach außen drang. HG ist verurteilt worden, weil er Bernhard nicht denunziert hat. Er hätte niemanden denunziert.
    HG bedient die Gestapo mit Floskeln: »Im Zusammenhang damit steht die von mir jetzt als verderblich erkannte mangelnde politische Ausrichtung des Offizierskorps. Die Mehrzahl der Offiziere – und zu dieser Mehrzahl muß ich mich selbst rechnen – ist hilflos gegenüber plötzlich auftretenden außerhalb des eigenen Dienstbereichs liegenden Problemen und geneigt, zu deren Lösung nur auf den sogenannten Befehlsweg zu verweisen. Was der nächste Vorgesetzte befiehlt, wird gemacht, und was er nicht befiehlt, geht mich nichts an.«
    Das sind nichts als Sprechblasen, aber die Sonderkommission benutzt Äußerungen dieser Art, um Themenfelder abzudecken für Bormann und Hitler – »Defaitismus«, »Einstellung zum Attentat«, »Auslandsbeziehungen der Verschwörer«, der »unpolitische Offizier«. Es werden keine kompletten Verhör-Protokolle weitergegeben, sondern Auszüge aus verschiedenen Vernehmungen, die gebündelt Zusammenhänge erhellen sollen. Die Verhörten machen alle dasselbe, sie belasten möglichst Tote oder sich selbst. Bernhard wird mit Aussagen zur Sache zitiert, an seiner Beteiligung bei der Sprengstoff-Beschaffung ist nicht zu deuteln. Sein Pflichtverteidiger Arno Weimann sagte nach dem Krieg, er habe sofort gestanden. Was sollte er auch machen.
    Am 7. August 1944 beginnen die Prozesse im Berliner Kammergericht. Gegen Bernhard, HG und vier weitere Angeklagte wird am 15. August verhandelt. Niemand weiß, wo sie in den knapp drei Wochen bis zum Verfahren gefangengehalten wurden. Daß Bernhard nach seiner Verhaftung am 21. Juli zunächst in das Zellengefängnis Lehrter Straße kam, ist belegt. Danach verliert sich die Spur bis zur Hinrichtung in Plötzensee. Die Unterlagen dieser sechs Männer sind verschwunden. Die Vernehmungen fanden in der Regel im Keller des Reichssicherheitshauptamtes in der Prinz-Albrecht-Straße statt. Ob HG und Bernhard dort im Gestapo-Gefängnis gewesen sind – ich weiß nicht, wo ich sie suchen soll.
    Ich weiß nicht, ob sie gefoltert wurden, Bernhard wahrscheinlich nicht, weil er offenbar nichts verheimlicht hat. Ich bete, daß auch HG unversehrt geblieben ist. Elf Tage noch nach dem Todesurteil haben sie ihn aufgespart, wozu, wenn sie nicht Informationen erhofften oder erzwingen wollten? Aus dem Verfahren ist bruchstückhaft die Anklageschrift des Oberreichsanwalts Ernst Lautz erhalten. Darin heißt es, man habe mit HG die meisten Schwierigkeiten gehabt – was ist das, wenn nicht Wut darüber, daß HG nichts gesagt hat. Was hätte er sagen sollen?
    Ich habe eine Sperre im Kopf und in meiner Seele. Ich stehe ohnmächtig vor einer schwarzen Wand, die mich nicht durchläßt zu HG in seine Zelle. Ich möchte mir nicht vorstellen, was ich gelesen habe über die Verhörmethoden, mir die Fesseln nicht denken, die den Gefangenen die Gelenke wundscheuern, nicht die Schreie der Mißhandelten, die HGs sein könnten. Ich weiß, daß ich mich nicht wegdrehen darf. Aber ich will nicht wissen, wie es zuging bei den »verschärften Vernehmungen« – Schlafentzug, Ermüdungsübungen, Stockhiebe. Fabian von Schlabrendorff hat die Folter beschrieben – ich kann das nicht umsetzen auf HG.
    Ich zwinge mich hinzusehen. Ich will weder Bernhard noch HG reduzieren auf die Helden, »die aufrecht in männlicher Haltung in den Tod gehen, ungebeugt, ihre Henker mit Verachtung strafend« – das wird wohl so gewesen sein. Aber das ist nicht alles. Ich sehe Bernhard weinen vor Sehnsucht nach seiner Frau, die ihren gemeinsamen Sohn geboren hat – das hat er noch erfahren, durch wen, wann – ich weiß es nicht. Ich sehe ihn sich zermartern in Zweifeln darüber, ob er das Kükenkind hätte heiraten dürfen und gleichzeitig den Sturz des Hitler-Regimes betreiben mit allem Risiko des Scheiterns. Er wird krank sein vor Sorge, daß Ursula etwas zustößt – selbst in der Isolation seiner Zelle oder bei den Verhören muß er begreifen, wie die Gestapo um sich schlägt. Haben sie ihm mit Ursulas Verschleppung gedroht, und er hat deshalb sofort alles zugegeben?
    Ich sehe HG in unendlicher Einsamkeit,

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