Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Name steht.
Auch seine Adreßbücher hat die Gestapo eingesammelt, und Else hat HG nichts erzählt, sicher um sie nicht zu gefährden, aber auch weil die Verschwiegenheit des Abwehrmannes ihm zur zweiten Natur geworden war. Die originalen Vernehmungsprotokolle der Gestapo sind verschwunden, vermutlich sind sie verbrannt. Die einzige Quelle sind die Kaltenbrunner-Berichte, und dort taucht nur das Treffen in Berchtesgaden vom 10. Juli auf. Ernst Kaltenbrunner war Nachfolger des ermordeten Reinhard Heydrich und Chef der Sicherheitspolizei, des SD und des Reichssicherheitshauptamtes, wo sofort nach dem Attentat eine »Sonderkommission 20. Juli« mit Hunderten von Gestapo-Beamten zusammentrat. In Kaltenbrunners Namen schickte diese Sonderkommission täglich Dossiers über den Fortgang der Ermittlungen an Hitlers rechte Hand, den Reichsleiter Martin Bormann. Historisch sind diese Berichte höchst fragwürdig, weil sie zurechtgestrickt sind für Hitlers und Bormanns Ohren und häufig mehr subjektive Interpretation der Gestapo als Aussagen der Verhörten enthalten. Aber es gibt nichts anderes.
Nach dem, was in den Kaltenbrunner-Berichten zu lesen ist, halten sich sowohl HG als auch Bernhard strikt an das, was nicht bestritten werden kann. HG spricht im Verhör von seinen »Zweifeln, und zwar erstmalig nach dem Verlust von Stalingrad, an einem für uns glückhaften Ausgang des Krieges«, er erzählt, immer ohne Namen, von der »fast fatalistisch zu nennenden Gesamtatmosphäre« in den Stäben des OKH: »Ohne daß ich hierfür einzelne Quellen angeben kann, war die allgemeine Stimmung etwa so wie ›nach uns die Sintflut‹. Ich hatte und habe keine Beurteilungsmöglichkeit dafür, woher dieser Fatalismus kommt und wie ihm abzuhelfen sei«.
Ich merke, wie HG in den Verhören seine jahrelange Erfahrung als Abwehrmann einsetzt. Er entwickelt eine fast kollegiale Situation mit den Vernehmern, die sich über andere Gefangene häufig sarkastisch oder empört auslassen. Über HG stehen in den Kaltenbrunner-Berichten Sätze wie »daß selbst Offiziere, die sich anfangs in einer nicht negativen Weise ehrliche Sorgen um den Krieg und das Schicksal des Volkes gemacht haben, nach und nach in den Strudel der Verschwörung hineingezogen worden sind«. Oder: »die von Klamroth in ehrlicher Sorge gestellten Fragen zur Gesamtkriegslage« oder »am ehrlichsten antwortet Major Klamroth«. Dabei sind seine Aussagen nichts als heiße Luft.
Irgend etwas Konkretes muß aber sein. Da ist die Unterhaltung an Stieffs Tisch im Kasino in Frankenstrub, wo im Zuge allgemeiner Niedergeschlagenheit über die Kriegslage Hellmuth Stieff mit der Hand auf den Tisch geschlagen und an HG den Satz gerichtet habe: »Sie, Herr Klamroth, haben ja diese trübe Erfahrung schon einmal gemacht. Ich bin damals nicht dabei gewesen. Aber das eine will ich Ihnen versichern: So, wie das vorige Mal verlieren wir diesen Krieg nicht, ob mit oder gegen diese Führung.«
Dann beschäftigen sich die Berichte mit dem Gespräch von HG und Bernhard im Hotel über Inhalt und Ausmaß der Verschwörung. Mehrfach wird der Satz zitiert: »Wenn es nicht anders geht, muß eine Gelegenheit abgewartet werden, bei der sich alle ›Nickesel‹ mit dem Führer auf einem Haufen befinden, und dann werden eben alle auf einmal erledigt.« HG kann Stieff und Bernhard zu diesem Zeitpunkt durch seine Aussage nicht mehr zusätzlich belasten – das Material gegen sie ist ohnehin erdrückend. Sonst fallen keine Namen, HG spricht über sich selbst – auf die Frage, warum er »Stieff nicht sofort entgegengetreten sei«, antwortet er, daß ihm Stieffs Äußerung »zwar peinlich gewesen sei, daß ihn seine militärische Erziehung aber daran gehindert habe, den General korrigieren zu wollen«.
Das wird es nicht allein gewesen sein. HG, erzogen im Ehrenkodex eines Kavallerie-Regiments, hält sich an die Standesgesetze der alten Eliten in der Wehrmacht, in Sonderheit im Heer, wo vielfach preußische Tradition und vom Vater auf den Sohn vererbte Wertvorstellungen die Führungsebene prägten. Kommandeure und ihre Generalstäbler – nicht alle – wollten mit der Partei nichts zu tun haben, vor allem nicht mit dem Pöbel der SS, die sich Gleichberechtigung anmaßte und deren infernalische Mordlust Deutschland besudelte.
In zahlreichen Stäben an der Front und in den Chefetagen des Ersatzheeres, das ist die Truppe zu Hause, war gezielt Personalpolitik in diesem Sinne betrieben worden – »keine
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