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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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er bei Oswald Spengler nachplappert, und es ehrt ihn, daß er sich selber eingesteht, nicht zu wissen, wovon er redet. Ich habe später das eine oder andere bei ihm gefunden, das mich überfordert. Antisemitismus nicht.
    In Halberstadt, wo HG noch ein paar letzte Ferientage verbringt, bevor der neue Job in Hamburg losgeht, tummeln sich immer noch die Ziegen auf dem Gartenrasen, im Pferdestall wohnen Kaninchen und Hühner, und das riesige Haus kann weiterhin nur mit wenigen Öfen beheizt werden – es gibt keine Kohlen. Zu essen ist auch nicht reichlich da, aber dieses Wenige teilen sich viele – es kommen immerzu Gäste. Staunend lese ich in HGs Tagebuch, wie Mutter Gertrud den häuslichen Laden am Laufen hält. Sie beherbergt drei Kinder von Gutsfreunden aus der Umgebung, die in Halberstadt aufs Gymnasium gehen – mit denen muß man reden, sie trösten, wenn etwas schiefgeht, und ein Blick auf die Schularbeiten ist auch nicht verkehrt. Dann wird hier noch eine bettlägerige alte Dame versorgt, eine Verwandte um sieben Ecken, die in ihrer Wohnung allein nicht zurechtkommt.
    Der Garten wird winterfest gemacht, Rosen gehäufelt, Stauden geschnitten, Kartoffeln eingelagert, die Turngeräte vom Spielplatz müssen ins Tennishaus, die große Wäsche steht an, für die Plätt-Frauen wird Erbsensuppe gekocht und ein Berg Zuckerrüben zu Sirup verarbeitet. Abends strömen junge Leute ins Haus, Freunde von Annie und Kurt junior, die musizieren und für ein Konzert Motetten einstudieren, und es gibt ein Tanzfest in der Diele als Abschluß für Kurt juniors Sonderkurs in Griechisch. Gertrud macht das alles nicht allein. Sie hat wieder zwei Hausmädchen, und der gichtkranke Gärtner Ebeling schlurft auch noch über die Beete. Aber sie muß diesen Wirbel im Kopf haben, organisieren, beaufsichtigen neben ihrer umfangreichen Korrespondenz, der Arbeit in den Vorständen mehrerer Wohltätigkeitsvereine und den vielen Menschen, die ihren Zuspruch brauchen. Könnte ich das? Ich würde es nicht wollen.
    Kurt hat in der Firma das Kerngeschäft inzwischen verlagert. Es gibt kaum Rohstoffe für die Düngemittelherstellung, also übernimmt die Fabrik jetzt Lohnarbeit für andere. Als Ersatz werden alte Qualitäten des Handelshauses wieder belebt, das jetzt vermehrt Saatgut, Getreide, auch Stroh, Heu und Naturdünger vertreibt. Das läuft ganz gut, Kurts sorgfältig gepflegte Verbindungen zahlen sich aus, und trotz stetig steigender Preise ahnt bisher keiner, daß die Katastrophe in Gestalt der Inflation erst noch kommt. Als ein Segen erweist sich das Curaçao-Geschäft mit Sitz in Amsterdam, das seine Erträge in kostbaren holländischen Gulden abwirft, und die persönlichen Beziehungen im Aufsichtsrat haben auch nicht gelitten. Bei der ersten Sitzung, die Kurt seit Kriegsbeginn wieder besucht, gibt es eine kleine, freundliche Zeremonie, und das englische Konsortium-Mitglied überreicht ihm eine mit britischem Tabak gefüllte »Friedenspfeife«.
    Auch eine Firma Kidson in London nimmt die Geschäfte mit I. G. Klamroth wieder auf, außerdem taucht plötzlich ein »reicher Onkel aus Amerika« auf, Ernst Hothorn heißt der, und ich bin ihm bisher noch nicht begegnet, HG redet ihn mit »Onkel Ernst« an. Woher der kommt und was er macht, weiß ich nicht, aber er kümmert sich erfolgreich um I. G. Klamroth-Beteiligungen an einer belgischen Firma in den USA, außerdem schickt er, was immer im Nachkriegs-Deutschland Mangelware ist: Nähgarn, Tennisbälle, Dosenmilch, kanadischen Whiskey. Hothorn findet einen Abnehmer für HGs Brotschneide-Maschinen, und bei einem Besuch in Halberstadt zieht er 50 000 Mark in cash aus der Hosentasche für Gertruds Kleinkinder-Schulverein – so etwas passiert auch in besseren Zeiten nicht alle Tage.
    In der Firma gibt es inzwischen einen »Vertrauensrat«, einen nach dem neuen Gesetz von allen Arbeitern und Angestellten gewählten Sprecher der Belegschaft – »Gefolgschaft« hieß das damals. Nicht wirklich von allen gewählt übrigens. Kutscher Kückelmann weigerte sich, an der Wahl teilzunehmen: Wenn er von seiner Herrschaft etwas wolle, könne er seine Wünsche allein vortragen, das gehe die Kollegen nichts an. Gewählt wurde der Lagerist, der ist aber auch schon fast 30 Jahre im Betrieb und behandelt die Personalfragen mit dem Chef im schönsten Einvernehmen.
    Im übrigen schießen nach der Revolution die bürokratischen Monstrositäten aus dem Boden. Allein mit Kurts Branche beschäftigt sich neben dem

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