Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
eine Eisengießerei, wo die Konstruktionsteile für Eisenbahnbrücken und Bahnhofshallen hergestellt wurden, was zu einer Waggonfabrik führte, der größten in Deutschland. Da die Schiffe außer Kohle auch Hölzer aus Skandinavien nach Deutschland brachten, entstand ein Säge- und Hobelwerk, Elses Vater Paul Podeus baute später noch Autos – Lastwagen und PKW – und landwirtschaftliche Maschinen, die auch in Japan und Südamerika ein Renner waren.
Was war das bloß für ein gesegnetes Jahrhundert! Unternehmerpersönlichkeiten wie Heinrich und Paul Podeus in Wismar oder Louis und dessen Sohn Gustav Klamroth in Halberstadt konnten die Sterne vom Himmel holen, wenn sie sich trauten. Die Parallelen sind frappierend: großes Geld auf der einen Seite, großes Engagement für die Mitarbeiter und für das Gemeinwesen auf der anderen. Hier wie dort sind sie Kommerzienräte, hier wie dort verfügen sie testamentarisch Stiftungen, die den Arbeitern und Angestellten zugute kommen, schenken sie ihren Städten Gemälde, Kirchenglocken, Theaterbestuhlung, Schulspeisung. Einen markanten Unterschied gibt es zwischen Kurt Klamroth und Elses Vater Paul Podeus: Paul war nie Reserve-Offizier. Er war schließlich Mecklenburger, kein Preuße. Den Krieg hat er trotzdem mitgemacht und zwar als Kurier. So wie Kurt seine eigenen Pferde mitbrachte, kam Paul, mit Fahrer, im eigenen Auto, das auch noch aus der eigenen Fabrik stammte.
Elses Elternhaus, Ravelin Horn hieß das, war eine Pracht. Wieder eine Parallele: Kurt baute das Halberstädter Haus 1911, Paul kaufte die alte Villa 1901 und krempelte sie vollständig um. Tennisplatz hier wie dort, Spielplatz mit Turngeräten auch in Wismar, Riesengarten, Gewächshäuser, Dienstbotenquartiere. Keine Pferde. Dafür ein Segelboot. Ravelin ist ein Wort aus der Schwedenzeit und heißt so etwas wie Fort, jedenfalls steht das Haus an einem alten Festungsgraben, und der erste Besitzer hieß wohl Horn. Ich habe Ravelin Horn nie gesehen, es wurde schon in den 20er Jahren verkauft nach Pauls Tod, heute ist es Katasteramt und nicht mehr zu erkennen.
Da soll jemand schon zur »Weltdame« werden. Else lebt mit 16, als sie nach der Schule die Wanderjahre einer höheren Tochter beginnt, von den Einkünften aus einer Million Mark, die der Vater verwaltet, die aber ihr gehört. Die hat sie auch noch, als sie HG begegnet. Wenig später in der Inflation ist alles weg. Bis dahin war Geld einfach da, viel Geld. Geprägt hat Else jedoch etwas anderes. In ihrem Elternhaus gehen Pauls Geschäftsfreunde aus aller Herren Länder ein und aus, Dagmar, Elses dänische Mutter, ist eine heitere Gastgeberin, es wird dänisch, englisch, französisch, vor allem plattdeutsch gesprochen – Paul wollte nicht, daß diese Sprache der Mecklenburger untergeht, und bis zu ihrem Tod haben die Geschwister untereinander nur plattdeutsch geredet.
Else las Fritz Reuter vor, diesen leisen und liebenswürdigen Chronisten mecklenburgischen Lebens im 19. Jahrhundert. Schon Paul hatte bei Reuter-Abenden Freunde und Familie um den Kamin in Ravelin Horn versammelt. Ganz spät, Else war wirklich nur noch ein Schatten ihrer selbst, habe ich sie überredet, das noch einmal für meine Freunde zu tun. Es kamen viele, sie saßen dicht gedrängt auf dem Fußboden unserer Wohnung. Else blühte auf. Sie las »Hanne Nüte«, »Ut mine Stromtid«, die Geschichten von de lütt Fru Pastern, Mining und Lining und dem alten Bräsig. Wir haben sie geliebt, und die Tonbandaufnahmen von diesem Abend gehören zu meinen Kostbarkeiten.
Der Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin und seine Frau sind mitsamt ihrer Entourage ständige Besucher in Ravelin Horn. Aber die Podeus-Kinder tummeln sich genauso häufig in der Gießerei und in der Waggonfabrik, kennen die Arbeiter alle mit Namen und essen in deren Wohnküchen Kartoffelsuppe. Und dann Dänemark. Da gibt es die riesige Verwandtschaft, Schiffsmakler, Reeder, Handelsleute auch hier, bis heute für mich der Lieblingsteil der Sippe. »Denen, denen Dänen nah stehn, geht es gut«, heißt ein Satz von Wolfgang Neuss in dem Uralt-Film »Wir Wunderkinder«, und es hat seinen Grund, warum ich den behalten habe. Die Sommer verbringen Else und ihre Geschwister in Maribo und in Bandholm auf Lolland mit einem Rattenschwanz von Vettern, Kusinen, Freunden. Später wird HG hier einfach eingemeindet, er fühlt sich wie ein Fisch in seinem Wasser.
Besonders seine Schwiegermutter Dagmar hat es HG angetan, die
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