Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
schickt HG eine Karte aus Berlin: »Ich fühle mit Dir. Es ist schwer, einen so guten Freund zu verlieren.«
Siegfried Körte ist der Schlüssel zu Else. Beide arbeiten bei der Firma Carl Illies & Co, noch so ein Hamburger Im- und Export-Laden, spezialisiert auf den Handel mit Japan. Else später: »Was haben wir für Kriegsmaterial nach Japan verschoben, von ganzen U-Booten bis zu Kreiselkompassen, alles!« Körte ist dort »Expedient«, Else »Privatsekretärin« des alten Illies, Freund ihres Vaters. Die beiden Herren müssen gut miteinander gekonnt haben, denn Elses Orthographie war zeit ihres Lebens eigenwillig. Else also. Sie heißt Else Podeus und ist feiner Leute Kind aus Wismar.
Als Verlobte grüßen HG und Else
S ECHS
HG SCHREIBT IN SEIN T AGEBUCH : »Gestern abend« – das ist Nikolaus, 6. Dezember 1920 – »hatten wir Else Podeus als Gast zu einem sehr gemütlichen Essen am Adventsbaum, den ich aufgeputzt hatte. Siegfried hatte ja schon lange gewünscht, daß ich mein bisher etwas abfälliges Urteil über seine Freundin, das sich aus meinen äußeren Beobachtungen ergeben hatte, durch gründlicheres Kennenlernen revidieren sollte. Das habe ich denn auch getan, indem ich fand, daß dieses Menschenkind gewiß nicht zu den alltäglichen gehört. Wir sprachen angeregt über alles Mögliche, zunächst Politik und Judenfrage« – was man sich wechselseitig so vorführt, wenn es auf die Balz geht! – »dann allgemeine Weltanschauung und schließlich über Spiritismus. Obwohl mir vieles, was sie sagte, durchaus durchdacht und wertvoll erschien, kann ich doch im tiefsten Grunde meines Herzens ein gewisses Antipathie-Gefühl gegen sie nicht loswerden.« Else ist zu der Zeit 21 Jahre alt.
HG weiter. »Sie ist eben für meine Auffassung vom weiblichen Geschlecht etwas zu selbständig, zu sehr ›Weltdame‹, obwohl sie das eigentlich durchaus nicht in den Vordergrund stellt. Vielleicht wird sie ja den eventuell notwendigen Anlaß geben, ein unrichtiges Vorurteil meines innersten Empfindens gegen eine gewisse Sorte Menschen wegzuräumen, wenn ich nun in Zukunft öfter mit ihr zusammenkomme, was wir verabredeten. Aber ich bin vorläufig in dergleichen Sachen nicht sehr schnell mit einem Entschluß bei der Hand, was auch ganz gut ist.« Fünf Wochen später sind sie verlobt.
HG hat mit Else eine Trophäe geschossen. Mein ganzes Leben lang bin ich Menschen begegnet, die die Augen verdreht haben vor Entzücken über »diese« Else: wie witzig, wie schlagfertig, wie warmherzig, wie voller Lachen sie gewesen sei. Ich habe das nur noch in Ansätzen erlebt. Als meine Erinnerung einsetzt mit dem großen Luftangriff auf Halberstadt im April 1945, war das Haus bis obenhin voller Menschen und Else, die dem Chaos vorstand, für mich, das Kind, kaum greifbar. Ich lief mit wie die vielen anderen Kinder auch. Später war ich in Internaten oder bei Freunden untergebracht, und wenn Else und ich wirklich mal unter einem Dach gelebt haben, kämpfte sie um unsere Existenz. Sie war erschöpft, ich pubertär – keine gute Konstellation. Nach dem Abitur habe ich, das letzte von fünf Kindern, sie zügig von mir entlastet. Es folgten fast drei Jahrzehnte, in denen sie keine Lust mehr hatte und ich sie, vorwiegend aus der Ferne, fürsorglich liebte. Das »Wunder« Else kenne ich nur, weil Menschen mir davon erzählt haben.
Und ich erlebe es jetzt, wenn ich sehe, wie sie diesem verklemmten HG eine Verkrustung nach der anderen abschält. An ihrer Seite wird aus dem pathetischen Kerlchen ein souveräner Mann, und sie fällt wie ein Paradiesvogel in Halberstadt ein, farbenfroh, laut, selbstbewußt. »Ich war immer unimponiert«, sagt sie von sich selbst, und nicht nur HG, auch Kurt hat sie dafür geliebt. Aber eins nach dem andern.
Die »Weltdame« Else kommt aus Wismar, und das ist ja nicht die Welt, ebensowenig wie Halberstadt. Aber Wismar liegt am Wasser, die Handelsbeziehungen gingen immer schon eher nach Skandinavien, nach England, nach Rußland als nach Sachsen-Anhalt oder Hannover. Elses Großvater Heinrich Podeus fuhr wie sein Vater zur See, er war Schiffsjunge, Steuermann, dann Kapitän auf großer Fahrt. Er schaffte sich eigene Schiffe an – eins davon hieß übrigens »Hans Georg« – mit denen er in großem Umfang Kohle aus England importierte. Deshalb gründete er eine Kohlenhandelsgesellschaft, eine Reederei mit elf Dampfern kam dazu, eine Maschinenfabrik für Ankerspille, Ladewinden, später Schiffsmotoren,
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