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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Kriegsernährungsamt und der Rohstoff-Versorgungsstelle eine eindrucksvolle Palette von Organisationen: Stickstoffdünger-Ausschuß, Kriegsphosphatgesellschaft, Phosphorsäure-Ausschuß, Überwachungsstelle für phosphorhaltige Düngestoffe, Überwachungsstelle für Ammoniak-Dünger, Kriegschemikalien-Aktiengesellschaft, Reichssackstelle – was die wohl macht?? –, Reichsverband der deutschen Industrie, Schwefelsäure-Ausschuß, Deutscher Industrierat, Reichsamt für wirtschaftliche Demobilisation, Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands, Zulassungsstelle für phosphorhaltige Düngemittel – ich habe die Hälfte weggelassen, und man fragt sich, ob hier noch eine Hand weiß, was die andere tut. In fast allen diesen Gremien hat Kurt Sitz und Stimme, ehrenamtlich, versteht sich. Dem Geschäft wird es nicht geschadet haben.
    Aber auch Kurts Tag hat nur 24 Stunden, und Berlin liegt nicht um die Ecke, folglich gibt er sein Mandat in der Halberstädter Stadtverordneten-Versammlung wegen Arbeitsüberlastung auf. 1905 war er seinem Vater Gustav dorthin nachgefolgt, der seit 1867 dem Stadtparlament angehört hatte. Seit 1913 war Kurt Vorsitzender gewesen. Damals war man noch unter sich, es gab nur drei sozialdemokratische Abgeordnete unter 42. Seit der Wahl im Februar 1919 war das Verhältnis deutlich umgekehrt: 26 »Rote« gegen 16 Bürgerliche. Kurt: »Wehmütig ist mir doch, daß nach 53 Jahren kein Klamroth mehr die Geschicke der Stadt mitbestimmen soll.« Immerhin bezeugt auch das sozialistische »Halberstädter Tageblatt« dem Mann Respekt: »Er stand im scharfen Gegensatz zur äußersten Linken. Gegensätzlichkeit in der Anschauung bedingt aber nicht, daß man dem Gegner die Achtung versagt, wie das vom Stadtverordneten Klamroth unseren Leuten gegenüber nie geschah. Also wollen auch wir nicht verabsäumen zu betonen, daß die Stadt in ihm einen klugen und gewissenhaften Mitarbeiter verliert.«
    In Hamburg geht für HG der neue Job bei einem Schiffsmakler los am 1. Dezember 1920. Siegfried Körte holt ihn von der Bahn ab – das ist HGs zweiter, sehr enger Freund. Sie laufen lachend und albernd um die Alster: »Wenn ich Siegfried sehe, habe ich sofort gute Laune.« Körte und HG waren im selben Regiment, HG ist oft auf dem ostpreußischen Gut von Körtes Eltern gewesen und bewunderte besonders Siegfrieds »verehrungswürdige Mutter«. Körtes wegen hat HG sein Zimmerchen bei der Familie Bieber aufgegeben, damit sie gemeinsam eine Wohnung beziehen konnten, als auch Körte nach Hamburg kam, und die beiden hängen zusammen wie Pech und Schwefel. Kurt und Gertrud beobachten das mit einer gewissen Sorge. Regelmäßig tauchen dezente Vorbehalte auf, bei Gertrud, weil Körte HG mitschleppt ins Operettenhaus auf der Reeperbahn – »Laß ihn doch allein gehen, und Du gehst ins Konzert« –, bei Kurt, weil der Körte in Gelddingen für nicht seriös hält – »leite ihn etwas auf richtige Bahnen. Er ist ein schwankendes Rohr.«
    Als Wolf Yorck nach Hamburg kommt für einen längeren Besuch, fragt sich Kurt skeptisch, wie die beiden wohl miteinander auskommen könnten. In der Tat sind sie grundverschieden, der witzige, verrückte Körte hat bestimmt keine »Ideale« und in seinem Leben noch kein »gutes Buch« gelesen. Aber sein Charme und sein Einfallsreichtum bestechen auch den ernsthaften jungen Grafen. In einem der wenigen Briefe Wolf Yorcks, die ich in HGs Unterlagen gefunden habe, beschreibt der eine Bootstour über Hamburgs Kanäle, wobei Siegfried Körte ihnen vom Wasser aus im Vorbeifahren ein Entrée verschafft zu einem piekfeinen Gartenfest bei ihnen völlig unbekannten Reedern. Wolf Yorck bewundernd: »Bei Siegfrieds strahlendem Lachen haben die sich beinahe noch entschuldigt, daß sie uns nicht schon vorher eingeladen hatten.«
    HGs und Siegfried Körtes Freundschaft endet drei Jahre später mit einem Eklat. Körte hatte einen größeren Devisen-Betrag veruntreut, der ihm von einer alten Tante Wolf Yorcks mitten in der Inflation für ein Dollargeschäft anvertraut worden war – eine Katastrophe! Körte zahlt erst Monate später das Geld zurück, nachdem HG ihm massiv mit juristischen Konsequenzen gedroht hatte. HG ist außer sich, daß die Verbindung seiner zwei engsten Freunde ein solches Unheil verursacht hat. Und er ist todtraurig, denn er hat das Wind-Ei Körte wirklich geliebt. Der wunderbare Kurt versagt sich jedes »I told you so«. Er

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