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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Regimentskameraden, mit dessen Schwester er ein – ziemlich keusches – Techtelmechtel hatte. Die Eltern gehören zu den ostpreußischen Gutsbesitzern, bei denen er oft zum Jagen war, die ihn und vor allem Gertrud in Halberstadt mit Puten, Käse und Schlackwurst versorgt hatten über all die Hungerjahre und die HGs Flirt mit Tochter Ruth wohlwollend tolerierten. Ruth erwartete nach einer abendlichen Küsserei am Weiher im Gutspark Labehnen wohl den Verlobungsring, und HG, von Vater Kurt dieserhalb mehrfach schärfstens ermahnt, hat das irgendwie nie in die Reihe gekriegt.
    Jetzt greift er sich den Bruder Heinz, der ihm aus der Patsche helfen soll – das ist einfacher, als mit der Dame direkt zu reden. HG in seinem Tagebuch: »Er war überrascht von dem Ernst, mit dem ich mein Verhältnis zu Ruth auffasse. In seiner Gutmütigkeit erklärte er sich sofort bereit, mein Verhältnis zu Ruth in der Praxis zu lösen. Ich kann ja doch nicht anders, will ich mir nicht selbst das Grab des geistigen Todes graben. Und das will ich nicht. Heinz wollte von einer Schuld meinerseits nichts wissen, nannte alles Leichtsinn und Lebensfreude, ohne zu wissen, daß das eben für mich wohl eine Schuld bedeutet.« Lebensfreude gleich Schuld? Halberstadt ist sehr protestantisch.
    Die Unterhaltung findet auf Gut Schleibitz statt, das ist das Elternhaus von HGs engem Freund Wolf Yorck von Wartenburg, ein entfernter Vetter von Peter Graf Yorck, der später beim 20. Juli eine Rolle spielen wird. Wolf Yorck ist auf den Fotos ein ungewöhnlich gutaussehender, fast mädchenhaft schöner junger Mann, die beiden kennen sich vom Fahnenjunker-Lehrgang 1917 in Döberitz her, und die Beziehung wird von HG als »Seelen-Gleichklang« oder »innerste, innige Übereinstimmung« beschrieben. Wolf Yorck sei ihm so nah wie der Vater, steht einmal in einem Brief an Kurt, und das will was heißen.
    HG geht wieder das Herz auf: »Ich hatte in der letzten Zeit unter der steten Beschäftigung mit der materiellen Seite des Lebens ganz vergessen, was Wolf mir eigentlich war, vergessen, wie tief ich in seinem Herzen saß, ja dieses wohl noch nie so recht empfunden.« Es sind noch drei weitere Freunde Wolfs dort, zwei Mädchen und ein junger Mann, und HG gibt sich »bewußt und doch wieder fast willenlos dem geistigen Band hin, das uns alle umschloß und das unser aller Mittelpunkt, Wolf, in seinem für die Ideale des Lebens so unendlich weiten Herzen für uns geknüpft hatte«.
    HG will schwärmen, er will bewundern, und er macht sich klein: »Ich fühlte deutlich den großen Abstand, der mich von diesen Menschen trennte, die in intensivster Weise ihre Ideale leben, bei denen des Lebens harte Wirklichkeit wohl immer erst in zweiter Linie kommt und doch, eben durch die Kraft der Ideale, bezwungen wird. Ein Abstand, der mich in früheren Stadien nur zu oft für meine Freundschaft zu Wolf fürchten ließ – oh, ich Kleingläubiger! Warum war ich so furchtsam? Ich lernte in diesen Tagen fühlen, daß in den Höhen, zu denen mich das warme Gefühl jener mit empor gerissen hatte – mich, den nüchternen Wirklichkeitsmenschen, welch ein Wunder! – keine menschlichen Grenzen mehr gelten«.
    Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, wie das Wort »Ideale« – stets im Plural – bei HG besetzt ist. Es steht für intellektuelle Nachdenklichkeit oder geistige Neugier. »Ideale« meint nicht notwendigerweise ein Leitbild. Ein Mensch mit »Idealen« liest Bücher und redet darüber, ein »Wirklichkeitsmensch«, als den HG sich sieht, verschifft Gänseküken und redet auch darüber. Das paßt nicht immer zusammen, und wenn HG von den »Idealen« der anderen Gäste redet, so meint er eben diese Diskrepanz. Denn als Wolf Yorck schon seine Kant- und Fichte-Phase hatte, dümpelte HG noch bei Alice Behrend und ihren »Bräutigamen der Babette Bomberling« herum. Er hat aufgeholt, wie ich weiß.
    Wolf Yorcks Freunde sind trotzdem richtig nett zu HG – »die anderen wußten, daß Wolf mich sehr lieb hat und kamen mir demgemäß entgegen«. Doch in seiner Unsicherheit steht er – wer kennt das nicht? – gelegentlich auf dem falschen Fuß. Nach einem Klaviervortrag eines der Mädchen dreht sich am ersten Kaminabend das Gespräch um Beethoven, »und ich erzählte höchst überflüssigerweise alberne Dönchens, die wohl an einer anderen Stelle passender gewesen wären«. Einen Spaziergang im Park am nächsten Morgen will er nutzen, um dem anderen Mädchen »etwas

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