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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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weißrosa Blütenblätter hereintrug. Schritte kamen näher, und noch bevor ich mich wieder umgedreht hatte, stand Alfonsa neben mir und beugte sich zu mir herunter und gab mir einen groben Kuss. Dann entfernte sie eine Apfelblüte aus meinem Haar und zeigte mir zum ersten Mal ihr Schmunzeln und ging.
     
    An diesem Abend sperrte ich mich nicht ein. Nach Mitternacht, als ich bereits im Bett lag, hörte ich, wie die Tür aufgeschoben und geschlossen wurde. Im Dunkeln konnte ich nichts erkennen. Das Geräusch nackter Füße auf Steinboden. Die Decke wurde angehoben, und ein kühler, schmaler, in ein Nachthemd gehüllter Körper schmiegte sich an mich. Sie legte ihre Hand auf meine Brust. Ihr Atem strich meinen Nacken.
    »Schlaf gut«, sagte sie.
    »Du auch«, sagte ich.
     
    Am darauffolgenden Morgen wachte ich allein auf. Ich wusch mich und zog mich an und grübelte, ob ich mir das alles nur eingebildet hatte.
    Beim Frühstück im Speisesaal setzte sich Alfonsa mir gegenüber. »Gut geschlafen?«, fragte sie.
    Ich sah sie an. Ihre Miene war wie immer ausdruckslos.
    »Ja«, sagte ich. »Ja. Sogar sehr gut.«
    Wieder schmunzelte sie. »Ich auch.«
     
    Dieses Schmunzeln reichte aus, damit ich mich fragte, ernsthaft fragte, wieso ich das jemals nicht gewollt hatte. Bald besuchte sie mich jede Nacht. Bis ich nicht mehr einschlafen konnte, ohne dass ich ihren Körper neben mir spürte. Wie zwei Jugendliche versteckten wir uns unter der Decke und lachten in die Kopfkissen und flüsterten uns Geschichten zu und küssten uns mit halboffenen Augen. So bewusst wir uns der Unmöglichkeit unserer Beziehung waren, so bewusst waren wir uns der Möglichkeit von ein bisschen Glück. Wahrscheinlich, dachte ich, würde es das letzte meines Lebens sein. Wer hätte sich schon dagegen entschieden?
     
    »Spürst du das?«, fragte sie.
    Ich lag in der Badewanne, es war Nacht, nur eine von meinem Rasierspiegel verdoppelte Kerze brannte, und Alfonsa, die in ihrem Nachthemd neben der Badewanne auf dem Schachhocker saß, krempelte ihren Ärmel hoch, tauchte ihre Hand ins Wasser und berührte meinen Fußknöchel.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Ihre Hand wanderte mein Bein entlang nach oben.
    »Und das?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf.
    »Und das?«
    Diesmal nickte ich.
     
    Tagsüber, sobald wir uns auf den Korridoren von Sankt Helena begegneten, versprachen wir mit einem Kopfnicken, was wir bei unseren heimlichen Treffen nachts einlösten. Es war so viele Jahre her; seit meinem Unfall hatte ich keine Frau mehr auf diese Weise berührt. Umso mehr wunderte mich, wie einfach und befriedigend es war. Alfonsa lernte die Vorzüge
eines erfahrenen Mannes kennen und ich alle Facetten ihres Schmunzelns. Mit ihr Liebe zu machen war wie ein vorsichtiger Tanz, nicht besonders schwungvoll, aber wir taten kleine stete Schritte, bei denen wir einander immer in die Augen blickten. Sie sah in mir ihr zweites Glück und ich in ihr meine vierte Liebe. Ich verriet ihr meinen richtigen Namen und sie mir ihre Geschichte. Und erst am Morgen, wenn ihr im nächtlichen Kerzenlicht noch verführerisch rotes Haar im Tageslicht plötzlich verräterisch wurde, sodass ich Stunden damit verbrachte, meine Matratze danach abzusuchen, erst dann fragte ich mich, wohin das alles führen sollte.

Ende
     
    Es endete, wie es so oft endet: mit einem Anfang. Bei unserem letzten Nachtspaziergang, im September 1982, teilte mir Alfonsa mit, dass sie im zweiten Monat schwanger war. Als ich nicht sofort auf die Neuigkeit reagierte, meinte sie: »Du wirkst nicht sehr überrascht.«
    Ich war neunundsechzig, der Sohn von Geschwistern, ich stammte aus einem Ort, an dem so Furchtbares vorgefallen war, dass niemand mehr seinen alten Namen verwendete, eine Französin hatte mich in einen Krüppel verwandelt, und nicht zuletzt war ich der Vater von zahlreichen Kindern; mich überraschte so schnell nichts mehr. Aber ich wollte ihr nicht den Eindruck vermitteln, dass ich sie nun allein lassen würde, und sagte deshalb: »Natürlich bin ich das.«
    Alfonsa musterte mich aus den Augenwinkeln, während sie stumm neben mir weiterging. Sie tat mir leid; sie war noch so jung und unerfahren.
    Vor dem Haupteingang des Klosters blieben wir stehen. Ich bemühte mich, so einfühlsam wie möglich zu klingen. »Wir müssen es den anderen sagen.«
    Und da, nach Monaten des Wartens, sah ich sie zum ersten und einzigen Mal lächeln. Ein mitleidiges, ehrliches, unschönes Lächeln, das ich lieber nicht gesehen

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