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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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erlebt hatte, war das Veteranenhaus geschlossen worden; die restlichen Pflegebedürftigen hatte man in eine modernere Anstalt in Bad Tölz verlegt. Ich war in Sankt Helena geblieben. Den längsten Teil meines Lebens hatte ich bei den Ordensschwestern verbracht. Hier war meine Heimat, hier wusste ich, was mich erwartete. Zumindest dachte ich das.
     
    Im selben Jahr kam Alfonsa nach Sankt Helena.
    Ihre Eltern hatten diesen Titel   – den sie, wie die meisten Menschen, einfach erhalten, sich aber nicht verdient hatten   – ganze zehn Stunden lang innegehabt, bevor sie sich davongestohlen und sie der Obhut eines Klosters in der Pfalz überlassen hatten. Dort war Alfonsa geboren, und sie ging davon aus, dass sie in einem Kloster sterben würde. Vom ersten Ereignis zum zweiten hangelte sie sich vor allem an einem Wort: Schwester. Die Vielfältigkeit dieses Wortes war schon immer eine der tragenden Säulen der Ordensgemeinschaft. »Schwester« galt als die stabilste Währung, als Allzweckwort in jeder Lebenslage. Dank »Schwester« ließ sich sagen, was man nicht aussprechen konnte.
    Mit fünf Jahren erschien sie nachts im Schlafzimmer der Oberin und sagte verheult »Schwester« und meinte damit, sie habe geträumt, Ratten seien unter ihrem Bett, ganz viele Ratten, mit roten Augen, die sie fressen wollten. Mit elf Jahren flüsterte sie »Schwester« und wollte damit eigentlich ausdrücken, sie glaube, irgendetwas stimme nicht mit ihr, da sei überall Blut in ihrem Bett und an ihren Beinen. Noch im selben Jahr verschluckte sie die zweite Silbe von »Schwester«, anstatt zu fragen, ob dieses Kribbeln da unten, wenn sie bei der Messe ihren Körper gegen die Bank vor sich drückte, Gottes Segen sei. Es dauerte nicht lange, bis sie »Schwester« durch die Zähne sprach, ohne mit der Oberin darüber zu sprechen, dass Alois aus der 10 b, der alle Platten von Frank Sinatra besaß, seinen Zeigefinger in sie reingesteckt habe, aber nur bis zum ersten Gelenk, und sich das nicht besonders gut angefühlt, sie sich weitaus mehr erwartet habe, sie aber trotzdem immer, wenn sie den Leib Christi auf die Zunge gelegt bekam, an den Leib Alois’ denken müsse, und dass sein
Ding nach Parmaschinken schmeckt. Wenige Wochen nach ihrem neunzehnten Geburtstag machte sie eine lange Pause zwischen beiden Silben: »Schwester.« Sie war schwanger und hatte den Plan, gemeinsam mit Alois abzuhauen, verworfen, weil Alois   – der immer davon gesprochen hatte, mit ihr in einer kleinen Wohnung in einer großen Stadt zu leben, wo sie sich gegenseitig Songtexte von Sinatra vortragen und so oft »Fick dich, Jesus!« schreien könnten, wie sie wollten   –, weil dieser Alois ohne sie abgehauen war. Im dritten Monat verlor sie das Kind und sagte stimmlos »Schwester« und wollte wissen, ob es ein Mädchen geworden wäre. Von da an klangen ihre »Schwester« emotionslos und verbargen alle Gedanken, die in ihr wühlten: Sie wusste nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte, am liebsten wollte sie den ganzen Tag nur im Bett liegen und lesen, sogar in der Bibel, aber sie konnte nicht mehr nach draußen gehen, sie konnte es einfach nicht, sie hasste es, gezwungen zu werden, sie hätte sich gewünscht, gefragt zu werden, wie es ihr ging, niemand fragte sie, wie es ihr ging, alle nickten sich immer nur zu und huschten herum und taten so, als wären sie glücklich, aber das waren sie nicht, dachte Alfonsa, sie konnten unmöglich glücklich sein, das konnte sogar sie sehen, obwohl sie nur einmal glücklich gewesen war, einmal, und das war, wie sie fand, schon eine ganze Menge für ein Leben, wenn’s nach manchen Leuten ging, sollte sie sich wahrscheinlich freuen, aber sie freute sich nicht, sie hatte einen verrückten Plan, sie wollte zweimal in ihrem Leben glücklich werden, das Problem war nur, dafür musste sie raus, und das konnte sie nicht, das ging nicht, noch nicht, außerdem war das Kloster ja weitläufig und bot eine Menge Abwechslung, was waren schon ein paar Monate ohne freien Himmel über ihr, sie konnte die Sonne doch sehen, und
sie schien auch in ihr Zimmer, Alfonsa fühlte sich sehr wohl im Drinnen, Agoraphobie hin und her, ihr wollte nicht in den Kopf, weshalb die Ordensschwestern keine Ruhe gaben, mit neunzehn Jahren wusste sie sehr wohl, was gut für sie war, und die Schatten des Klosters zog sie eindeutig dem Himmel vor, der Himmel kannte kein Ende, der Himmel war maßlos und angeberisch, der Himmel zwang sich jedem auf, ein billiges

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