Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
unmissverständlich zu Tobi, weil ihm nur ein sekundenkurzes Zeitfenster blieb: Fredsei sterbenskrank, ihm blieben kaum drei Monate, und sollte er, Tobias Gruber, der Milchfahrer, für den frühzeitigen Tod seines schwerbehinderten Vaters verantwortlich sein wollen, dann müsse er einfach so weitermachen.
Mit den letzten Silben rauschte der Traktor vorbei, den ein das Lenkrad umklammernder Junge fuhr, ein föhnheißer Windstoß folgte, das Motorgeräusch und das Knirschen von Rollsplitt ebbten ab, und Albert stellte fest, dass er Fred eben genannt hatte, wie er Fred niemals nannte.
Auf einen stummen Befehl hin drehten sich Tobis Füße, und er entfernte sich, im Laufschritt von jemandem, der nicht zeigen möchte, dass er rennen will.
»Ich habe viel Blut«, sagte Fred und formte mit seiner Hand eine Schale, die er sich unters Kinn hielt, ohne nur einen Blutstropfen aufzufangen.
»Leg dich hin. Aufs Gras.« Albert gab ihm Taschentücher. »Halt dir das unter die Nase.«
»Danke, Albert.«
»Nein. Danke dir.«
»Warum?«
»Weißt du nicht, warum er weggelaufen ist?«
»Weil, er hatte Angst vor dir.«
Albert benetzte seinen Hemdsärmel mit Speichel und wischte Freds Gesicht sauber. Der weiße Stoff färbte sich verwaschen rosa. »Vor dir.«
»Vor mir?«
Albert nickte.
Fred lächelte. »Ich bin ja schon ein Held.« Husten ließ ihn zusammenfahren, er spuckte Blut aus. Freds rechtes Auge war leicht geschwollen, seine Haut glänzte wächsern.
»Du musst dich hinlegen«, sagte Albert.
»Ich liege doch schon.«
»Zu Hause.«
Fred setzte sich auf. »Wir müssen runter in die Rohre, Albert!« Fred sah ihn ernst an. »Ich will das heute machen!«
Albert wusste, dass es eine dumme Idee war, nur, wie schlug man jemandem eine Bitte aus, der nur noch drei Monate zu leben hatte? »Du sagst mir aber, wenn du dich nicht gut fühlst. Und wenn ich will, dass wir umkehren, dann kehren wir um.«
»Ja«, stöhnte Fred.
Albert setzte ihm seinen Trachtenhut auf. »Was hast du eigentlich zu ihm gesagt?«
»Was habe ich zu ihm gesagt?«
»Als er dich geschlagen hat, da hast du was zu ihm gesagt.«
Sie standen auf, nahmen Stofftasche und Rucksack.
Fred knöpfte seinen Poncho bis zum Kinn zu. »Ich hab ihm gesagt, dass er Füße hat wie Klopfer.«
»Wer?«
»Der Klopfer von Bambi.«
»Ist das der Hase? Der die ganze Zeit so macht?« Albert stampfte so schnell er konnte mehrmals mit dem Fuß auf.
»Ja, total der!«
Albert lachte.
»War das falsch?«
»Nein, Fred, das war sehr richtig.« Albert rückte seinen Trachtenhut zurecht. »Tut mir leid, ich hätte dich nicht allein lassen sollen.«
»Das stimmt«, sagte Fred und gab sich keine Mühe, nicht vorwurfsvoll zu klingen.
»Frederick Arkadiusz Driajes«, sagte Albert und griff nach der Brechstange. »Manchmal frage ich mich, wer das eigentlich ist.«
Fred zuckte auf sehr fredhafte Weise die Achseln. »Ich.«
»Ach ne«, sagte Albert, setzte die Brechstange an und hebelte den Gullydeckel hoch.
Eine Minute später befanden sie sich unter der Straße.
Verdammtnochmal
Sie standen am unteren Ende der Metallleiter, und Fred wirkte verblüfft. Albert wusste: Kein Grund zur Beunruhigung. Freds Verblüfften-Miene, ein ungläubig offen stehender Mund unter geröteten Augen, bedeutete bloß, er dachte nach. Und zwar darüber, wie Albert doch sehr hoffte, welche Richtung sie einschlagen sollten. Durch die Löcher im Gullydeckel über ihnen fielen schmale Lichtsäulen. Das Kanalrohr hatte, zu Alberts Verwunderung, eine rechteckige Form. Die dampfige Luft war mühsam zu atmen, ein zäher Sauerstoffbrei, und ihr Geruch erzählte keine appetitliche Geschichte. Klebrig glänzendes Wasser tropfte, floss die Wände herab, deren glitschige Oberfläche etwas von Reptilienhaut hatte, und rann in einem dünnen Rinnsal aus der Dunkelheit hinter ihnen in die Dunkelheit vor ihnen.
»Also?« Der Hall wiederholte Alberts Frage und imitierte die Akustik der weitläufigen Korridore in Sankt Helena.
Fred entnahm seinem Rucksack eine Taschenlampe und knipste sie an. »Da.«
Sie kamen schleppend voran, weil Fred immer wieder hier- und dorthin leuchtete und am seltensten vor ihre Füße.
»Ich finde, Tobi und seine Frau müssen ein Kind kriegen«, sagte Fred.
»Ein vorbildlicher Vater«, meinte Albert.
»Klondi hat gesagt, sie kriegen kein Kind.«
»Seit wann redest du mit Klondi?«
»Ich rede auch mit Gertrude.«
»Klondi hat dir gesagt, dass der Typ keine Kinder kriegen
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