Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
kann?«
Fred blieb stehen. »Albert, denkst du, ich kriege auch mal Kinder?«
»
Du
willst Kinder haben.«
»Ja.«
»Richtige Kinder?«
Aus dem Schwarz vor ihnen näherte sich ein bedrohliches Dröhnen, es schüttelte Wassertropfen von der Decke, das Kanalrohr bebte. Albert schob Fred zur Seite, nahm die Taschenlampe und hieb mit dem Lichtstrahl ins Dunkel. Dann war es über ihnen. Und dann hinter ihnen.
»Ein Auto«, sagte Fred. »Hört sich grün an.«
Albert zupfte an seinem Ohr. »Gehen wir weiter.« Er behielt die Taschenlampe, und für eine Weile verfielen sie in einen gleichmäßigen Pitsch-patsch-Schritt, den das Echo wie eine Gruppenwanderung klingen ließ. Albert bemühte sich, durch den Mund zu atmen, und folgte Fred, ohne Einwände zu erheben.
Vergeblich hoffte er bei jeder Gabelung oder Abzweigung auf ein »Hier!« oder »Endlich!« von Fred. Wieso hatte eine kleine Gemeinde im Voralpenland ein dermaßen weitverzweigtes Netz an Kanalrohren? An das verstörende Rumpeln von Autos, die über ihnen fuhren, konnte er sich ebenso wenig gewöhnen wie an das unregelmäßige Plätschern in der Ferne,Geräusche von frischen Lieferungen jener Substanz, an die beim Stichwort Kanalisation jeder als Erstes denkt.
»Bist du öfter hier unten?«, fragte Albert.
»Ja.«
»Und was machst du dann?«
Fred schnappte sich die Taschenlampe und warf ihm einen Blick zu, als hätte er Albert das schon tausend Mal erklärt: »Ich suche meinen Paps.«
Albert: »Weißt du, vielleicht ist er nicht hier.«
Fred blendete ihn. »Er
ist
hier!«
Über ihren Köpfen setzte sich etwas Schweres in Bewegung, stockte, rollte weiter. Albert dachte, warum auch immer, an ein steinzeitliches Rad.
»Woher willst du das wissen?«
Fred ließ die Taschenlampe sinken und sah ihm in die Augen. »Weil, das Gold ist seins.«
»Wieso hast du mir das nicht gesagt?«
»Weil, du hast nicht gefragt.«
»Wir gehen zu ihm? Jetzt gerade?«
»Fast genau.«
»Was denn nun, ja oder nein?«
»Ich zeig’s dir.«
»Verdammtnochmal-«
Albert rutschte aus, das Kanalrohr drehte sich, rotierte gegen den Uhrzeigersinn und er prallte auf den Rücken. Als er die Augen wieder öffnete, fiel sein Blick zuerst auf ein Bündel eng geschnürter Leitungen an der Decke. Königsdorfer Venen, dachte Albert. Fred saß neben ihm und stützte seinen Kopf.
»Bist du schwach?«
»Nein.«
Fred zog die Augenbrauen hoch und Albert musste lächeln: »Vielleicht ein bisschen.«
Auf seinem Hemd hatten sich die Schweißflecken der Achseln mit denen an Rücken und Hals vereinigt. Der dumpfe Schmerz in seinen Schultern versprach Muskelkater, obwohl die Stofftasche bloß einen Bruchteil des Rucksacks wog. Über Freds Wange hingegen perlte ein einziger Schweißtropfen und verlor sich im Bart. Einundsechzig Jahre geschafft, nur noch drei Monate vor sich und dennoch anmaßend fit.
»Ruh dich aus«, sagte er, beinahe väterlich, »ich guck nach dem Weg.«
»Warte!«
»Keine Angst, Albert.« Fred lächelte zuversichtlich. »Ich bin ja ein Held.«
Bevor Albert widersprechen konnte, war Fred fort.
Richtiger
Die Schale einer Banane, die Albert verzehrt hatte, lag, abseits des brackigen Wassers, in einer Kanalrohrecke. Albert saß auf Freds Rucksack und rauchte und wartete. Er war es gewohnt. Der nächste Besuch in Königsdorf, ein Lebenszeichen seiner Mutter, das Abitur, Fred und der Tod – Albert wartete schon immer.
Schwester Alfonsa bezeichnete das als »Leben im Futur«. Freds Definition lautete: »Albert, du willst immer, dass was anfängt, und wenn was anfängt, dann willst du immer, dassdas aufhört.« Und Violet, das einzige Mädchen, mit dem Albert je zusammen gewesen war, hatte einmal behauptet, er warte, weil es das »Richtige« sei. Albert hielt das für unwahrscheinlich. Die Botschaft vieler Filme, die ihm Violet empfahl und die er sich im Internetzimmer von Sankt Helena illegal herunterlud, lautete schlichtweg: Tu etwas, weil es »richtig« ist. Womit Albert herzlich wenig anfangen konnte. Natürlich wollte niemand etwas machen, weil es »falsch« war. Und selbst wenn man sich darauf einigen würde, dass manche Dinge richtiger sind als andere – was hatte man davon? Was hatte Albert davon, dass er wieder auf die Suche nach seiner Vergangenheit gegangen war? Fred nach Hause zu bringen oder einfach hier hocken zu bleiben, Freds Tabletten wegzukippen oder sie ihm in den Salat zu mischen – was machte das für einen Unterschied? Letzten Endes,
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