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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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ausgeharrt, wäre Albert nicht auf ihn eingegangen. Fred war mindestens so stur wie Albert, und gerade weil Albert ihn holen musste, wollte er es nicht. Er warf die Zigarette in den Rinnstein.
    Nun war es Fred auch noch gelungen, dass Albert sich kindisch fühlte.
    Asphalthitze drang durch seine Schuhsohlen.
    Albert setzte sich in den Schatten vor Gertrudes Zaun, schloss die Augen und stellte sich vor, Fred würde ihn holen, wenigstens einmal, Fred würde kommen und sich entschuldigen, und sie würden über alles reden und lachen und sich gegenseitig auf die Schultern klopfen.
    Er war neunzehn Jahre alt, was aber seine Wünsche betraf, kam er sich noch immer vor wie der Junge, der mit drei Jahren vor den Stufen von Sankt Helena stehen geblieben war, die Arme trotzig verschränkt, und sich geweigert hatte, sein neues Zuhause zu betreten. Der alle strengen Bitten SchwesterAlfonsas mit »Bert nicht« quittiert hatte. Dem die Oma weggestorben war, die Hälfte der ihm bekannten Familie. Ein zäher Junge, der die erste Nacht im Waisenhaus vor dem Waisenhaus verbracht hatte, zusammengerollt auf der Fußmatte, die mit
AMEN
bedruckt gewesen war. Der am frühen Morgen von Glockenläuten geweckt worden war und als Erstes Schwester Alfonsa erblickt hatte, die, gleich hinter der offenstehenden Tür, im Eingangssaal wachend, mit ihm die Nacht verbracht hatte. Der einen Riesenhunger verspürt hatte und seinem neuen Familienersatz in die Ordensküche gefolgt war, wo er steinharte Sternsemmeln vom Vortag in Honigmilch hatte tunken dürfen. Ein Junge, der erst aufhörte, sich Bert zu nennen, als ihm Schwester Alfonsa fünfhundert Mal Schuhebinden androhte. Ein Junge, dessen Denkvermögen ihm nicht nur Schachunterricht bescherte, sondern ihn schon mit viereinhalb, als Fred bei einem Picknick schluchzend Annis Tod beklagte, in eines der Lexika schreiben ließ:
Sei nicht drauwig
. Der sich beim Räuber-und-Gendarm-Spielen im Wald, für das die Waisenjungen sich mit Dartpfeilen rüsteten, um sich hemmungslos zu bewerfen, eine streichholzlange Narbe an seinem linken Mundwinkel zuzog, die sich in heiteren Augenblicken zu einer Lachfalte wandelte. Und der einzige Junge in Sankt Helena mit einem Vater, der nicht Vater sein konnte (im Unterschied zu den vielen Eltern, die nicht Eltern sein wollten).

Klopfer
     
    Als Albert zurückkam, stand Fred noch exakt an der Stelle, wo Albert ihn verlassen hatte. Bei ihm war Tobi, ein Mann in Alberts Alter, der selten still stand. Man konnte das, was er tat, nicht Bewegen nennen, vielmehr war es ein Zappeln, gepaart mit einem Schlurfen. Das Herumstolpern einer Landratte auf einem Schiff.
    Albert versteckte sich hinter einem Flaschencontainer am Straßenrand, aus dem der säuerliche Geruch entsorgter Weinflaschen aufstieg.
    Tobi, ein dorfprominentes Mannsbild, groß, kräftig, mit der Arroganz bäuerlichen Stolzes ausgestattet, lachte kurz und keuchend, doch über seine Lippen kam bloß: »Freddie.« Er sprach es erwartungsvoll, als würde das Fred aufregen. Fred aber stand. Tobis Enttäuschung zeigte sich im Scharren seiner Füße; sie wollten weiter, von Ruhe hielten sie wenig, dafür war er bekannt. Auf seiner Arbeitsroute drückten sie das Gaspedal des Milchtransporters durch, den Tobi von Hof zu Hof steuerte, um mit einem rüsselartigen Schlauch frische Milch zu tanken, die er Molkereien im Oberland lieferte. Diese ungeduldigen Füße machten ihn zum schnellsten und kostengünstigsten Fahrer in elf Gemeinden; ihre Abneigung gegenüber dem Bremspedal ließ die Milch wenig schwappen, und wenig geschwappte Milch war sehr begehrt. An diesem Tag allerdings konnte Albert Tobis Transporter nirgendwo sehen.
    Dessen zweites »Freddie« hatte den gleichen Effekt wie das erste, nämlich gar keinen. Tobi umkreiste Fred, fuhr sich mit der Hand übers rotfleckige Gesicht, kratzte seinen Nacken. Die Hitze machte ihm zu schaffen. Seine Füße wanden sich inden Halbschuhen, er ging noch näher an Fred heran, klopfte die Hand gegen seine geschürzten Lippen und gab ein Indianer-U-U-U von sich, wartete, sah Fred stur an und wiederholte das Ganze noch einmal: U-U-U.
    Albert wusste, es war an der Zeit einzugreifen, er sollte dort hingehen und Tobi nach Hause schicken, mit klaren, direkten Worten, »geh und schlaf deinen Rausch aus«, etwas in der Art, und danach, sobald Tobi das Weite gesucht hätte, sollte Albert Fred an der Hand nehmen, nein, in den Arm, und er sollte sich dafür entschuldigen, so lange fortgeblieben

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