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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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Wahrscheinlich spürten sie, dass er noch nie begreifen konnte, warum die meisten Leute mehr Mitleid für ein Waisenkätzchen aufbrachten als für Obdachlose in der U-Bahn .
    Albert räusperte sich. »Lass uns weitergehen.«
    »Können wir noch ein bisschen bleiben?«
    »Nein.«
    »Aber Gertrude   –«
    »Nein!«, sagte Albert lauter als beabsichtigt. Ihm war nun wirklich nicht nach Streichelzoo.
    Fred nahm ihn zur Seite. »Wenn ich tot bin, musst du Gertrude jeden Tag besuchen«, flüsterte er.
    Damit hatte Albert nicht gerechnet; er wischte sich Schweiß von der Stirn, sagte: »Ich bin nicht gut in solchen Sachen.«
    Fred klopfte ihm auf die Schulter. »Wirst du schon noch lernen.«
    Danach verabschiedete er sich von dem Fohlen. Eine Gertrude hatte Fred nach seinen Streifzügen durch Königsdorf nie erwähnt, dachte Albert, und wenn Fred etwas nicht erwähnte, dann bedeutete das eigentlich, er hatte etwas angestellt.
    Fred unterbrach seine Gedanken, als er mitten auf der Straße stehen blieb. »Wir sind da.«
    Albert blickte sich um. An beide Seiten der Ludwigstraße grenzten Bauerngrundstücke. Die Sonne stach. Über einem Kuhfladen flogen Fliegen im Rechteck.
    Fred zog eine Brechstange aus seinem Rucksack, kniete sich hin und bemühte sich, ihr Ende unter den Gullydeckel zu kriegen.
    »Was machst du denn! Hör sofort auf!«, rief Albert.
    Fred drehte sich zu ihm um, und der Gullydeckel rutschte mit einem gekränkten Basston zurück in die Vertiefung. »Wir müssen aber runter.«
    »Was, wenn uns jemand sieht? Wenn ein Auto kommt?«
    Fred sah zu beiden Enden der Straße. »Es kommt kein Auto.«
    »Darum geht es nicht. Wir können doch nicht einfach in die Kanalisation steigen.«
    »Warum?«
    »Weil   …«, Albert überlegte, »weil das nicht erlaubt ist.« Er nahm Fred die Brechstange weg. »Und du solltest mich fragen, bevor du mit so was rumspielst. Damit kannst du dir wehtun.«
    »Aber du hast gesagt, ich soll dir zeigen, wo das Gold herkommt!«
    »Von da unten?«
    Wildes Kopfnicken. »Krieg ich die Stange?«
    Albert deutete auf den Gullydeckel. »Im Ernst   –
da
unten?«
    »Ich brauche jetzt die Stange«, sagte Fred.
    »Gibt es keinen anderen Weg?«
    Mit einem Satz war Fred über ihm und packte die Hand, in der Albert die Brechstange hielt. Im ersten Moment spürte Albert nichts, er wollte seine Hand wegziehen, sie war wie festgefroren, vergeblich bemühte er sich mit der anderen, Freds Griff zu lösen. »Lass. Los.« Der Druck nahm zu, es fühlte sich an, als presse Fred seine Finger in das Eisen der Stange. Freds Trachtenhut war nach vorn gerutscht und verdeckte dessen Augen, stumm öffneten und schlossen sich seine Lippen. Der Schmerz verschmolz mit einer Taubheit, die Alberts Arm entlangwanderte. Kurz bevor sie seinen Ellbogen erreichte, stemmte er sich mit ganzer Kraft nach hinten. »Fred, hör jetzt auf!«, rief er, und erst da ließ Fred los und Albert stolperte rückwärts. Die Brechstange landete wenige Zentimeter neben seinen Füßen.
    Albert nahm seine Stofftasche und ging.
    Vor Gertrudes Zaun begutachtete er seine dunkelrot angelaufene Hand, bewegte einen Finger nach dem anderen. Gebrochen schienen sie nicht. »Der Witz ist«, rief er dem Fohlen zu, »
ich
sorge mich um
seine
Gesundheit.«
    Gertrude wieherte tatsächlich.
    Mit sechs hatte Albert Fred einmal »Behindi« geschimpft, weil seine He-Man-Actionfigur zerbrochen war, als Fred versucht hatte, sie in Prinz Adam zu verwandeln, mit dem Ergebnis, dass er nach Albert getreten und ihm zwei Zehen gebrochen hatte. Beim übermütigen Schattenboxen hatte Fred ihm etliche Male ein Veilchen verpasst. Und an Blutergüsse sowie kleinere Blessuren war Alberts Körper längst gewöhnt.
    Gertrude schnupperte in Richtung seiner Hand, die er über den Zaun hielt.
    »Und jetzt?«
    Am Himmel kreiste ein Segelflugzeug und machte Segelflugzeuggeräusche, die nach Hochsommer klangen. Albert schaute, ob Fred ihm gefolgt war. Einhändig steckte er sich eine Zigarette an. Gertrude rupfte mit den Zähnen ein Büschel Gras. Albert war heiß, er zog die Regenjacke aus, verfing sich in ihr, dieses Plastik wollte nicht loslassen, er schleuderte es in einen der Vorgärten. Eine Weile stand er unschlüssig auf der Straße und zitterte. Auch ohne nachzusehen wusste er, von allein würde sich Fred nicht vom Fleck rühren. Einmal hatte er zwei Tage ohne Essen im BMW verbracht, wegen irgendeiner Bagatelle, an die sich Albert nicht erinnerte, und er hätte noch länger

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